Nach der Herstellung der Pläne beider Typen war Herr Antoni im Laufe der Jahre zu überaus interessanten Ergebnissen gelangt. Er hatte die Brandstätten verschiedener Ortschaften mit Linien verbunden und festgestellt, daß in achtzig von hundert Fällen die entsprechenden Brandstellen die Umrisse merkwürdiger Gestalten ergaben; hauptsächlich waren es die Formen kleiner, komischer Geschöpfe, die manchmal durch ihr Aussehen an Mißgeburten erinnerten, ein andermal sich eher dem Typus kleiner Tiere näherten: Äffchen mit langen, schalkhaft gewundenen Schwänzchen, flinke bogenförmig gespannte Eichhörnchen, scheußlich komische Meerkatzen.
Czarnocki ›entnahm‹ seinen Plänen eine ganze Galerie solcher Wesen, färbte sie zinnoberrot ein und bevölkerte mit ihnen ein originelles, einzigartiges Album mit der Aufschrift »Album der Feuer- und Brand-Elementargeister« auf dem Einband.
Den zweiten Teil dieser Sammlung bildeten ›Fragmente und Projekte‹ - eine Unzahl grotesker Figuren, unausgeformter Gestalten, kaum angedeuteter Einfälle. Es gab hier Umrisse von Köpfen, Bruchstücke von Körpern, Arm- und Beinstümpfe, Ausschnitte aus zottigen, gespreizten Pfoten; stellenweise erschienen auch geometrische Figuren, gewundene, zerfetzte Flecken oder fühlerartige, polypenhafte Auswüchse.
Czarnockis Album machte den Eindruck, als wäre es das Werk einer launischen
Phantasie, die das grotesk-diabolische Element liebt und es mit einem Heer boshafter,
chimärischer und unberechenbarer Geschöpfe füllt. Die Sammlung des Leiters der
Feuerwehr sah aus wie ein Scherz, wie der rote Scherz
eines genialen Künstlers, der einen seltsamen Traum
gehabt hat. - Stefan Grabinski, Das Abstellgleis. Frankfurt am Main
1971 (Insel, Bibliothek des Hauses Usher, zuerst 1953)
-
(
wat
)
Mustererkennung (3) Es mag angebracht sein, eine Reihe von Rohzerreißungsopfern im Umkreis des Dionysos aufzuzeigen, da erst die Fülle das Muster der Dionysos-Mythe eindeutig macht. So haben wir von Pentheus gehört, dessen Mutter Agaue eine Schwester der Mutter des Dionysos, Semele, ist. Eine weitere Schwester der Semele, Autonoe, gebiert den Aktäon, den großen Jäger (eine Zweitausgabe des jagenden Dionysos als kretischem Zagreus), der jedoch, weil er der jungfräulichen Artemis nachstellte, von deren Hunden wie ein Stück Jagdbeute zerrissen wird. Die dritte Schwester der Semele, Ino, ist diejenige, der von den Göttern der kleine Dionysos übergeben wird; sie wird also zur Amme. Diese Ino wird von Hera zum Wahnsinn getrieben und wirft ihren Sohn Melikertes in einen Kessel kochenden Wassers.
Das Interessante an all diesen Varianten ist nicht nur die Umkehrung des
Inzest-Motivs (die Mütter töten oder verspeisen ihre
Kinder), sondern auch die Symbolik des Zerreißens, Zerstückelns und - im letzten
Falle - des Kochens, die auf die Unterwelterlebnisse der sibirischen Schamanen
verweist, die ja, bevor sie „gestählte" Schamanen
sind, erst zerhackt, gekocht, gebraten und auf dem Amboß geschmiedet werden
müssen. - Klaus-Peter Köpping, in: alcheringa oder die beginnende Zeit. Hg. Hans Peter
Duerr. Frankfurt am Main 1983
Mustererkennung (4)
- Manfred
Schmidt
, Nick Knatterton
Gedenkausgabe, Oldenburg u. Hamburg 1971 (Stalling, zuerst 195*)
Mustererkennung (5)
Mustererkennung (6) Der Gedanke, daß sich die Natur den Bedürfnissen der Menschen fügen sollte, gehörte nicht zu den Vorstellungen der Navajos. Die Navajos versuchten vielmehr, sich selbst den Gegebenheiten der Natur anzupassen und in Harmonie mit dem Universum zu leben. Wenn die Natur ihnen den Regen versagte, versuchten die Navajos, das Schema dieses Phänomens zu ergründen - genau wie er selbst bei allem, was ihm begegnete, das Schema zu ergründen versuchte —, um seine Schönheit zu entdecken und mit ihr in Harmonie zu leben.
Jetzt forschte Leaphorn nach einem Schema im Verhalten eines Mannes, der
lieber versuchte, einen Polizisten zu töten, als ein Strafmandat wegen zu schnellen
Fahrens zu bekommen. - Tony Hillerman, Das
Labyrinth der Geister. München 1997
Mustererkennung (7) Katya Walter hat den Doktortitel in interdisziplinärer Philosophie an
der Universität Texas, große leuchtende Augen und gelegentlich
Zustände. Zahlen bilden für sie die eigentliche Wurzel aller Prozesse
und Muster und sind für sie das Herz aller Dinge. Ihr zufolge spiegelt
sich in den Zahlen 0 und 1 implizit die weiblichmännliche Polarität:
«Denn die 0 ist rund, weiblich, bewahrend in ihrer hohlen Mitte. Sie schließt
das Nichts ein, und als verdoppeltes Nichts ist sie Unendlichkeit: . Die
Null vergrößert Zahlen durch ihre beziehungsreiche Stellung - als
10, 1000, 10000, ohne selbst etwas zu sein. Auf der anderen Seite das Männliche:
Die 1 ist aufrecht, linear; aktiv besteht sie auf ihrer stolzen Existenz und
definiert sich über ein strahlendes, aufgerichtetes, scharf abgrenzendes
<Ich bin!> ihres Egos. Immer im Begriff, weiterzugehen zur nächsten
Einheit, zur nächsten Summe, zur Lösung. Dieses Paradoxon von
linear-analog liegt im Herzen der Zahl. Die Zahl funktioniert immer auf
beide Arten.» In ihrem Buch Chaosforschung, l Ging und genetischer Code
berichtet sie aus eigener Erfahrung von Zuständen, in denen sich lineares
Denken mit analogen Betrachtungen zu analinearen Wahrnehmungen und
Einsichten verbunden hat. In denen schließen sich Zahlen zu dynamischen
Mustern zusammen, welche sich sowohl in der Chaosforschung als auch im I Ging,
dem altchinesischen Buch der Wandlungen, und im genetischen Code wiederfinden.
Sie verweist auf bemerkenswerte Parallelen zwischen der Struktur der 64 Hexagramme
des I Ging und der 64 DNS-Muster (Codons) im genetischen Code sowie zwischen
den zu Gruppen angeordneten 55 Punkten jener beiden altchinesischen Karten Ho-Tu
und Lo-Shu, die dem Buch der Wandlungen zugrunde liegen, und der Struktur der
ebenfalls aus 55 Atomen bestehenden Basenpaare der DNS. Katya Walter hat sichtliches
Vergnügen am Phantasieren. Wendungen wie «Ich phantasiere einfach
einmal ...», «Alle meine Mutmaßungen ... bringen einfach Spaß
und sind nicht zu beweisen ...» sind in ihrem Buch nicht selten.
Doch es macht auch Spaß, an ihrer Seite die Echoräume der Intuition
zu durchwandern.
Das I Ging baut sich aus 64 «Bildern» auf, deren jedes aus einer
Sechserkombination zweier Symbole besteht. Die beiden Symbole sind ein
durchgehender (voller) Strich «—» und ein unterbrochener Strich
«- -». Beide werden zunächst zu Grundfiguren - Trigrammen -
kombiniert, deren jede aus drei Strichen besteht und denen in den verschiedenen
Auslegungen des Buches unterschiedliche Bedeutungen beigelegt werden. So
symbolisieren in der als Alte Familie bekannten Deutung drei durchgehende Striche
«» den Himmel oder den Vater, drei unterbrochene Striche «
» die Erde oder die Mutter. Je zwei Trigramme werden sodann zu einer
sechsteiligen Figur - einem Hexagramm - zusammengefügt, wobei Platz
und Charakter der Striche sowie ihre Beziehungen zueinander das Bedeutungsspektrum
der Gesamtfigur bestimmen. Die aus achtmal acht Trigrammen kombinierte
Anordnung der 64 Hexagramme wird dem legendären Kaiser Fu-hsi (Fo-hi),
dem mythischen Begründer der chinesischen Kultur, zugeschrieben.
Nimmt man die volle, durchgehende Linie als 1 und die unterbrochene
Linie als 0, so stellt sich das I Ging als ein binäres Zahlensystem
dar. Kein Geringerer als Gottfried Wilhelm Leibniz hatte gegen Ende des 17.
Jahrhunderts eine binäre Arithmetik entworfen, in der nur mit den Zahlen
0 und 1 gerechnet wurde. - (kroeb)
Mustererkennung (8)
Mustererkennung (9)
Mustererkennung (10) In Frankreich, dem Land, wo ich nun schon lange lebe, ist das Rauchen in öffentlichen Gebäuden, in den Cafés und den Bars, seit mehreren Jahren untersagt. Auf diese Weise gehört manches, was sich dort in den Toiletten, den alten, denen von früher, aus der Raucherepoche, zum Beispiel betrachten läßt, gleichsam ins Blickfeld der Archäologie. An bestimmten Stellen, oben auf dem einst reinweißen Email der Spülkästen, auf der ebenfalls ursprünglich vielleicht weißen blechernen Deckklappe, oder wie die heißt, für die Papierrolle haben die Benutzer und Raucher in den Cafe- und Barklosetts ihre brennenden Zigaretten abgelegt, und die Glut hat auf den Unterlagen eine Art Muster hinterlassen. Jedenfalls begegnen mir, sowie ich auf solche Orte von früher, aus der Zeit vor dem Rauchverbot, stoße — sie werden im übrigen immer seltener —, die Brandflecken als ein Muster, in welches ich mich jedesmal pflichtgemäß, in meiner Rolle als Gesellschaftswesen, nach Kräften vertiefe.
Jene Muster erscheinen mir von Stillem Ort
zu Stillem Ort ziemlich verschieden. Es liegt mir fern, sie zu deuten. In der
Natur draußen bin ich immer wieder versucht, Spuren zu lesen, von Tieren
wie von Menschen, und das erscheint mir selbstverständlich. Auch die Aschenglutstellen
in den Toiletten sehe ich als Spuren, einmal epische, einmal dramatische, nur
daß ich nichts aus ihnen herauslese, weder, wie manchmal in einem Wald-
oder Flußuferschlamm, die Spuren von Verirrten, Spuren eines Kampfes,
noch die Spur eines Menschen, der unversehens nicht mehr weiter weiß,
die Spur eines, ob Mensch oder Tier, der mit oder gegen sich selber kämpft.
Die Glutspuren auf den Wasserkästen und Blechklappen, ob vereinzelt oder
geballt, ob nur kurz angedeutet oder ins Blickfeld deutlich eingebrannt, mit
schwärzlichen Schmauchhöfen wollen nicht gelesen werden. Sie wecken
statt dessen meine Phantasie, welche dabei unbestimmt bleibt, ohne auch nur
den Ansatz zu einer Geschichte - unbestimmt und frei, Muster für eine andere
Geschichte; und wenn die Betrachtung der Muster etwas imaginiert, so keinerlei
Bilder von dem, was da an den Stillen Orten einmal wirklich geschah: es ziehen
vielmehr, indem ich diese episch-dramatischen Muster erforsche, andere und wieder
andere Bilder, mögliche, an meinem, wie es früher hieß, inneren
Auge vorbei, ebenso epische und gleichermaßen dramatische. Seltsamer Forscher,
ich. Seltsames Gemeinschaftswesen. Aber war das nicht von Anfang an so? -
Peter Handke, Versuch über den Stillen Ort. Frankfurt am Main 2012
Mustererkennung (11) Ich entsinne mich
meines Kinderzimmers. Die Musselinvorhänge
am Fenster waren mit verschlungenen weißen Borten besetzt, und ich versuchte
darin die Buchstaben des Alphabets wiederzufinden.
Wenn ich die Buchstaben erwischt hatte, verwandelte ich sie in Zeichnungen,
die ich mir ausdachte: H, ein Mann auf einem Stuhl; B, ein Brückenbogen
über einem Fluß. In dem Zimmer standen mehrere Truhen, und offene
Blüten waren leicht in das Holz geschnitzt. Meine Vorliebe aber galt zwei
Pfeilerkugeln, die man hinter den Vorhängen gewahrte; ich hielt sie für
die Köpfe von Kasperlfiguren, mit denen zu spielen verboten war. -
Max Jacob, Der Würfelbecher. Frankfurt am Main 1968 (zuerst 1917/23)
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