Musikautomat  Schopenhauers Automat ist, im Ruhestand betrachtet, nichts weiter als ein bunter Kasten, auf dem vier gut handhohe Blechfiguren stehen. Die Antriebsmechanik, die Bälge der Luftdruckerzeugung und der Programmspeicher, vier synchronisierte Lochscheiben, sind im Kasten verborgen. Die Klangerzeugung aber - das verblüfft und fasziniert unweigerlich - ist in die Figuren verlegt: Die vier Musikanten, die sich in Viertelkreisen vor dem Betrachter hin- und herbewegen, machen mit ihren blechernen Leibern, mit Blechhand und Blechmund, mechanisch oder pneumatisch, jeden Ton selbst. Aus zwei Glockenspielen und zwei posaunenähnlich gespielten Zugpfeifen steigt die Melodie auf. Dieses Selber-Klingen gibt den Blechgesellen in der ganzen Armut ihres Rückens und Drehens etwas unerschütterbar Wackeres und anrührend Redliches. Als sie in jener denkwürdigen Nacht nach fast einhundertfünfzigjähriger Pause zum erstenmal wieder, hämmernd und pustend, vor menschlichen Trommelfellen aufspielten, schössen mir meine Tränen, als wäre deren Wasser ähnlich lang in hydraulischen Schläuchen aufgestaut gewesen, in die Augen.

Ich kann meinem Freund Volkmar beweisen, daß das Musikstück, das die Affen spielen, eine Komposition meines Philosophen ist. In zahlreichen Variationen ist sie als Notenhandschrift erhalten und stellt eigentlich keine Überraschung dar, denn die musikalische Nebenbegabung des großen Denkers ist der Forschung von jeher bekannt. Viel schwieriger, wahrlich heikel wird es hingegen werden, wenn ich damit beginne, Volkmar in das Konvolut der Figurenzeichnungen einzuführen. Auch bei der bildnerischen Gestaltung der vier Musikanten hat der Philosoph nichts dem Zufall oder der ästhetischen Laune desTechni-kus überlassen. In mehreren Dutzend säuberlichen Bleistiftzeichnungen sind die vier Gesellen auf mit Maßlinien versehenem Papier originalgroß zu sehen; nur das Gesicht - alle vier Musiker tragen dasselbe - ist zusätzlich in doppelter Vergrößerung gezeichnet. Diese Physiognomie, das Profil und mehr noch die Frontansicht der Köpfe sind, seit ich sie kenne, der unaufhörlich sprudelnde Quell meiner Unruhe und vielleicht auch der Grund jener nicht erinnerten Alpträume, die meine Schlaflosigkeit meidet.

Volkmar wird sagen, daß es sich um nichts weiter als ordinäre Affenvisagen handle. Musizierende Affen seien, das wisse ich doch selbst, ein Standardmotiv der orientalisierenden Malerei, folglich auch in der Musikautomatengeschichte häufig zu finden. Noch auf den letzten, schon elektromotorgetriebenen Jahrmarktsorgeln unseres Jahrhunderts, auf den hybriden Giganten der amerikanischen Firma Wurlitzer, höben Äffchen die Hände, um scheinbar auf die von den Registern gesteuerten Zimbeln und Pauken zu hauen. Volkmar hätte recht. Ich kenne die Figuren, meist sind es stilisierte Schimpansen, durch übergroße Augen und Ohren als junge Tiere gekennzeichnet. Aber was hätten diese putzigen Visagen mit den Gesichtern meiner vier Musikanten gemein. Das sollen Affen sein? werde ich Volkmar fragen. So soll ein naturwissenschaftlich gebildeter Gelehrter, dessen Privatbibliothek nachweislich Bildwerke mit naturgetreuen Abbildungen aller Primaten besaß, ein Affenantlitz gezeichnet haben? Allein die eigentümliche Behaarung und noch mehr die Gestaltung der zu einer eindeutig humanen Miene gefrorenen Gesichtsfalten verweisen mich, den Kundigen, in eine andere Richtung.

Der Mund der Musikanten verrät alles. - Georg Klein, Anrufung des blinden Fisches. Berlin 2000

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