uschelsammler Fräulein Zwida wohnt im Hotel Meereslilie; ich war dort, um mich beim Portier nach ihr zu erkundigen. Vielleicht hat sie es erfahren; zu dieser Jahreszeit sind nicht viele Feriengäste in Petkwo, und die jungen könnte man an den Fingern abzählen. Da wir uns so häufig begegnen, erwartet sie vielleicht, daß ich sie eines Tages anspreche.
Dem stehen jedoch mehrere Gründe entgegen. Erstens sammelt und zeichnet Fräulein Zwida Muscheln. Ich hatte zwar einmal vor Jahren, als Heranwachsender, eine recht schöne Muschelsammlung, habe sie dann aber aus den Augen verloren und inzwischen alles vergessen: Klassifikationen, Morphologie, geographische Verteilung der verschiedenen Arten etc. Ein Gespräch mit Fräulein Zwida würde mich unvermeidlich auf Muscheln bringen, und ich weiß nicht, wie ich mich dann verhalten soll: eine totale Unkenntnis vortäuschen oder mich lieber auf eine ferne und fast vergessene Erfahrung berufen? Das Thema Muscheln zwingt mich, mein Verhältnis zum Leben zu überdenken und mich dem Gedanken zu stellen, daß mein Leben aus lauter nicht zu Ende geführten, halb ausgelöschten Dingen besteht; daher das Unbehagen, das mich schließlich davor zurückschrecken läßt.
Zweitens verrät die Hingabe, mit welcher sich Fräulein
Zwida dem Zeichnen von Muscheln widmet, in ihr ein Streben nach Perfektion als
der Form, zu der die Welt gelangen kann und mithin gelangen muß. Ich hingegen
bin seit langem davon überzeugt, daß Perfektion nur beiläufig und durch Zufall
entsteht, also keinerlei Interesse verdient, da sich die wahre Natur der Dinge
nur im Zerfall offenbart. - Italo Calvino, Wenn ein Reisender
in einer Winternacht. München 2007 (Zuerst 1979)
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