Während der Doktor diese edlen Worte sprach, war er fuchsteufelswild und krebsrot geworden. In diesem Mann, der sein Leben lang immer nur auf tadelloses Benehmen bedacht war, trieb die Eitelkeit seltsame Blüten und ließ ihn die unverständlichsten Torheiten begehen. Zwar sah er seine Dummheiten jeweils ein, aber er brachte die Kraft nicht auf, ihnen zu widerstehen. In diesem Augenblick zum Beispiel hätte er bloß zu schweigen brauchen, und das ganze freche Geschwätz der Wäscherinnen wäre auf Kosten der Madame Hautemare verpuffl. Aber in diesem Augenblick wollte er freilich sein Mütchen an den Weibern kühlen.
»Gescheh' nichts Schlimmeres!« hänselte eine von den Wäscherinnen weiter: »Wir bösen, unverbesserlichen Frauenzimmer werden dann eben von einem Rüpel mit Dreck bespritzt. Ein bißchen Wasser schafft da Abhilfe. Mit welchem Wasser aber soll sich ein ekelhafter Buckelknirps waschen, der so widerwärtig ist, daß er noch nie ein Liebchen hat finden können, es sei denn, er habe dafür gezahlt?«
Kaum waren diese Worte gesprochen, so trieb der Doktor sein Pferd im Galopp vorwärts, und als er durch das Schlammloch neben der Waschstelle ritt, bespritzte er alle die roten Wangen, die weißen Hauben und, was weit ärger war, die ganze bereits gewaschene Wäsche, die auf den Steinbänken zum Trocknen ausgebreitet lag, über und über mit Dreck.
Als die dreißig Wäscherinnen das sahen, fingen sie alle miteinander an, Verwünschungen zu heulen, und sie heulten gut eine Minute lang im Chor.
Der Doktor war hell begeistert, daß er die frechen Weiber mit Dreck bespritzt hatte. Und sie werden sich nicht einmal beklagen können, sagte er sich mit einem mephistophelischen Lächeln.
»Ich ritt meines Wegs, und ein Weg ist dazu da, daß man darüber geht!«
Er wandte sich nach den Wäscherinnen um und wollte sich an ihren Nöten weiden. Es war gerade der Augenblick, wo alle ihm die wütendsten Schimpfworte nachschrien. Da konnte der Doktor der Versuchung nicht widerstehen, im Trab noch einmal durch das Schlammloch zu reiten. Er gab seinem Gaul die Sporen. Eine von den Weibern, die gerade satt vor der Nase des Pferdes stand, bekam eine Heidenangst und warf dem Roß auf gut Glück den Holzklöppel, mit dem es die Wäsche klopfte, an den Kopf. Der Klöppel, den sie in ihrer Angst schleuderte, flog ein paar Zoll über den Augen des Pferdes hinweg. Hammel scheute, blieb mitten im Traben bocksteif stehen und machte einen Satz rückwärts.
Dieses plötzliche Bocken hatte eine Trennung des Reiters von seinem Sattel zur Folge. In hohem Bogen flog der Doktor, der sich vornüber beugte, in das Schlammloch. Doch der Kot war nur einen halben Fuß tief, und der Doktor kam mit dem Schrecken und der Schande davon. Und die Schande kostete er bis zur Neige.
So lag er längelang zu Füßen der Frau, die ihm in ihrer Angst vor einer vermeintlichen Todesgefahr ihren hölzernen Klöppel entgegengeworfen hatte.
Zuerst glaubten die Weiber, der Doktor habe sich zumindest einen Arm gebrochen, und sie kriegten eine Heidenangst. Was eine rechte Normannin ist, berechnet im Handumdrehen die Aussichten in einem Prozeß. Da ging es um Schadensersatz und Wiedergutmachung. Alle nahmen darum Reißaus, weil keine wollte, daß sie der Doktor erkannte und womöglich in seiner Klage namentlich erwähnte.
Sansfin sprang blitzschnell wieder auf die Füße und kletterte auf sein Pferd.
Als die Wäscherinnen sahen, wie flink er wieder im Sattel saß, blieben sie zwanzig
Schritte weiter stehen und brachen in ein so ungezwungenes und überglückliches
Gelächter aus, daß die schäumende Wut des unseligen Arztes keine Grenzen mehr
kannte. Schamerfüllt griff er mit den unheilvollsten Absichten nach seinem Gewehr.
Aber bei seinem Sturz war die Flinte hart auf dem Boden aufgeschlagen, die Hähne
waren verschmutzt und hatten zudem ihre Steine verloren. Die Frauen jedoch wußten
nicht, daß dieses Mißgeschick mit dem Gewehr passiert war, und als sie sahen,
wie der Doktor auf sie anlegte, ergriffen sie erneut unter gellendem Angstgeschrei
die Flucht. - Stendhal, Lamiel. München 1955 (entst. 1839)
Mütchen
(2) Petrow steigt aufs Pferd und hält vor
versammelter Menge eine Ansprache, in der er erklärt, was sein werde,
wenn dort, wo sich der öffentliche Park befindet, ein amerikanischer
Wolkenkratzer errichtet worden sei. In sichtlichem Einvernehmen hört ihm
die Menge zu.
Petrow notiert etwas in seinem Notizheft. Aus der Menge lost sich ein
mittelgroßer Mann und fragt Petrow, was er in sein Notizheft geschrieben
habe. Petrow antwortet, das gehe nur ihn selbst etwas an. Der
mittelgroße Mann läßt nicht locker. Ein Wort gibt das andere, und es
kommt zu einem Streit. Die Menge ergreift für den mittelgroßen Mann
Partei, und Petrow, um sein Leben zu retten, gibt dem Pferd die Sporen
und verschwindet um die Ecke. Die Menge ist erregt, und in Ermangelung
eines anderen Opfers fällt sie über den mittelgroßen Mann her und reißt
ihm den Kopf ab. Der abgerissene Kopf rollt über die Straße und bleibt in einem Gullyloch stecken. Die Menge, die ihr Mütchen gekühlt hat, zerstreut sich. - (
charms
)
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