üllkippe  Und jetzt taucht so ein Tutti-Frutti-Politiker aus dem Kulissendreck auf, faltig und greisenhaft, und trägt einen Zylinder und sagt, „jetzt wollen wir mal Politik machen" und das ist eine Tutti-Frutti-Müllkippen-Politik./Erinnerungen:wie ich eines Abends, Ende Sommer 71 allein herumtrabe durch die Kulisse Köln und im Eigelstein den Schwulen Klaus besuche über einer ramponierten Werkstatt, aus dem Fenster sah man die Gleise und ab und zu einen Zug, der vorüberfuhr, mitten in dem alten Gerumpel und Plüsch saß er in rotem Slip und war dabei, sich zu schminken, trank Cola mit Korn, im Fernsehwrack wurde eine Bundestagsdebatte übertragen, ohne Ton, dazu kam aus einem Radio ein amerikanisches Geschmalze von dem toten Neger Nat King Cole, pomadig-fettiges Triefen, während die Herren sich auf den Bänken räkelten und flegelten und einer mit ondulierten Wellen im Haar, redete, zugleich sah ich, wie auf dem sumpfigen Plüschsofa der schwule Klaus mit seinen dreckigen Zehen einem Jungen das Oberhemd aufzufummeln versuchte:und sofort enthüllte sich eins durch das andere bis zu dem totalen Zerfall, den keine Metapher mehr verkleiden kann: ich begriff die innere Struktur war zerfallen, das Reden auf dem Bildschirm nur noch lächerlich, die Szene im Raum gespenstisch, die Züge draußen und Schienen geisterhafte Vorgänge, darüber die triefigen amerikanischen Laute - alle zusammen in einem Augenblick ließ die innere Müllkippe deutlich zu Tage treten. Es war so unglaubwürdig fantastisch und doch nur konkret. Wohin hatte ich mich verirrt? Spuk, der aus veralteten Wortkulissen rinnt, und Spuk, der Gegenwartsanrechte für sich meldet. - (rom)

Müllkippe (2)  Ich beargwöhnte stundenlang das Tun der Müllarbeiter, mit unerklärlichem Interesse, aber auch mit unbestimmter Furcht: alles, was sie taten, war mir rätselhaft; und immer öfter schien es mir jeden Sinns ledig zu sein. Sie waren auf der Suche nach Kleidung, hatte ich zuerst gedacht: selbst in der Sommerhitze sah ich sie mit dicken schwarzen Lumpen bandagiert, unter denen ihre Leiber zu kochen schienen, krebsrot, wie in ständiger Wut, leuchteten ihre Gesichter aus dem Übermaß der Vermummung hervor, mit der sie ihre Körper polsterten und schützten. In der Tat, all diese Kleider mußten aus dem Müll stammen, auf dem sie lebten; und all ihren Besitz an Garderobe trugen sie stets am Leib, da die Eigentumsverhältnisse auf der Asche ungeklärt waren. Die meiste Zeit über waren sie für mich fast unsichtbar, wie korpulente Tiere ruhten sie hinter Hügeln von Gerümpel, in die schmalen Schattenstreifen gezwängt, wo sie sich vom Unrat kaum abhoben. Erst wenn ein Lastwagen der Müllabfuhr über das weite Feld herankroch, lebten sie auf. Kaum hatte sich die Ladung mit Gerassel und Getöse in die Ebene ergossen, kaum begann die leere Maschine fortzurollen, kamen sie von allen Seiten angerannt und gingen - noch ehe sich die Fontänen der Asche, die zumindest in der kalten Jahreszeit noch heiß sein mußten, aus der Luft herabgesenkt hatten - mit Gabeln und Zangen, mit Staken und Schaufeln auf den qualmenden Haufen los; sie ebneten ihn blitzschnell ein und zerrten dabei alle festen Gegenstände hervor, die sie untersuchten und davonschleppten. Ich konnte nicht erkennen, worauf ihr Augenmerk besonders gerichtet war, offenbar brauchten sie alles . . . einmal sah es aus, als ob sie einen Leichnam an Armen und Beinen über das Feld schafften, zu einem abgeschiedenen Platz hin, wo sie ihn in Windeseile zu entkleiden schienen.  - Wolfgang Hilbig, Die Kunde von den Bäumen. Frankfurt am Main 1994
 
 

Loswerden Entsorgung Müll

 

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