orgenerektion   Zum erstenmal in meinem Leben habe ich einen Ermordeten gesehen, als ich dreizehn war. Ich erinnere mich noch genau an jenen Tag. Beim Aufwachen schämte ich mich furchtbar, denn unter dem Pyjama, den ich ohne Unterhose trug, war unverkennbar eine ungewollte Erektion sichtbar. Die typische Morgenerektion, die nicht zu verheimlichen ist. Daran erinnere ich mich deshalb genau, weil ich an diesem Tag eine Leiche in der gleichen Lage sah. Wir waren zu fünft mit unseren vollgepackten Schulranzen auf dem Weg zur Schule, als wir auf eine von Schüssen durchsiebte Alfetta stießen. Meine Schulkameraden stürzten sich voller Neugier darauf und wollten alles mitkriegen. Über die Kopfstütze ragten die Füße heraus. Der Mutigste unter uns fragte den Carabiniere, wieso da, wo man den Kopf anlehnt, die Füße seien. Der Carabiniere antwortete seelenruhig, als hätte er gar nicht gemerkt, daß er mit einem Kind sprach. »Der Kugelhagel hat ihn herumgeschleudert.« Obwohl ich noch klein war, wußte ich, daß er mit Kugelhagel Schüsse mit der Maschinenpistole meinte. Der Camorrist hatte so viele Schüsse abgekriegt, daß sich sein Körper umgedreht hatte. Kopf nach unten und Füße nach oben. Dann öffneten die Carabinieri die Autotür, die Leiche fiel heraus wie geschmolzenes Eis vom Stiel. Wir schauten ungestört zu, niemand sagte uns, das sei kein Anblick für Kinder. Keine Hand legte sich schützend vor unsere Augen. Der Tote hatte eine Erektion. Durch die enganliegende Jeans deutlich sichtbar. Das brachte mich völlig durcheinander. Ich starrte lange auf die Szene und dachte tagelang darüber nach, wie das hatte geschehen können. Woran hatte der Mann gedacht, was hatte er gemacht, bevor er starb. - Roberto Saviano, Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra. München 2006
 
 

Erektion Erwachen

 

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