Möder, potentielle  «Aber seien Sie doch mal ehrlich, auch in Ihrem Leben muß es doch schon Leute gegeben haben, über deren Tod Sie nicht gerade unglücklich gewesen wären.»

«Nein.» Doch, Steve, fiel ihm plötzlich ein. Bei ihm hatte er sogar schon einmal an Mord gedacht.

Bruno legte den Kopf auf die Seite. «Doch. Ich sehe es Ihnen an. Warum geben Sie's nicht zu?»

«Na ja, es ist möglich, daß mir das mal durch den Kopf geschossen ist, aber ich hätte nie etwas dazu getan. Ich bin da eben anders.»

«Da irren Sie sich sehr. Jeder Mensch kann zum Mörder werden. Entscheidend sind nur die Umstände, nicht das Temperament. Man kommt innerlich bis zu einem bestimmten Punkt, dann fehlt nur noch eine Kleinigkeit, damit man die Grenze überschreitet. Das kann jeder, auch Ihre Großmutter. Ich kenne das.»

«Ich bin hier zufällig anderer Meinung», sagte Guy knapp.

«Ich sage Ihnen, ich bin tausendmal nahe dran gewesen, meinen Vater umzubringen. Wen haben Sie gern mal umbringen wollen? Die Männer, die mit Ihrer Frau ...?»

«Ja, einen», murmelte Guy.

«Und?»

«Gar nichts. Es war nur eine flüchtige Idee.» Die vielen schlaflosen Nächte fielen ihm ein, wo er auf Rache gesonnen hatte. Hätte ihn damals etwas über die gewisse Grenze schieben können? Er hörte Brunos Murmeln. «Ich kann Ihnen bloß sagen, Sie waren sehr viel näher dran als Sie glauben."» Guy sah ihn verwundert an. Bruno hatte das übernächtigte, kränkliche Aussehen eines Croupiers, die Arme in Hemdsärmeln waren auf den Tisch gestützt, der dünne Kopf hing herunter.

«Sie lesen zuviel Kriminalromane», sagte Guy. Als er die Worte ausgesprochen hatte, wußte er nicht mehr, woher sie gekommen waren.

«Die sind prima. Sie beweisen, daß jeder Mensch morden kann.»

«Ich finde immer, gerade deshalb sind sie schlecht.»

«Wieder falsch», sagte Bruno entrüstet. «Wissen Sie, welcher Prozentsatz an Morden rauskommt?»

«Nein, das weiß ich nicht, und es ist mir auch völlig egal.»

«Ein Zwölftel! Ein Zwölftel - stellen Sie sich das vor. Was glauben Sie, wer die ändern elf Zwölftel sind? Das sind lauter kleine Leute, ganz unwichtig. Und die Polizei weiß, daß sie die nie kriegen wird.» Er wollte sich Whisky einschenken, sah die leere Flasche und zog sich langsam in die Höhe. Ein goldenes Taschenmesser an fadendünnem Goldkettchen hing aus seiner Hosentasche, und Guy freute sich an dem Anblick wie an einem schönen Schmuckstück. Er beobachtete Bruno, der den Verschluß einer Whiskyflasche aufschnitt, und überlegte, daß Bruno eines Tages vielleicht mit diesem Messerchen einen Mord begehen und davonkommen werde, einfach weil es ihm ziemlich egal war, ob man ihn faßte oder nicht.   - Patricia Highsmith, Alibi für zwei. Reinbek bei Hamburg 1969 (zuerst 1950)

Mörder Möglichkeit

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