oderevolution  Die hübschen Frauen zeigen verführerisch lächelnd ihre Zähne und bewegen schmachtend die langen Glieder im fließenden Peplum aus durchsichtigem Tüll. Rotlederne Sandalen halten den nackten Fuß, das Haar liegt in unzähligen festen Löckchen auf dem Nacken, schöngewebte Schals, mit goldenen Bienen oder Blumen geschmückt, sind von den nackten Schultern geglitten und schleifen am Boden nach. Noch sieht man breitkrempige Hüte mit Band- und Federschmuck, aber schon drängen sich die kleinen Baretts, die schmalen Turbane oder die flachen Käppchen vor. Auch die phrygische Mütze erscheint in zierlichen Abwandlungen. Die Mode ist ratlos, sie sucht, sie leiht bei den Griechen und Römern, wie sie diese versteht, sie leiht bei den Türken oder Spaniern, sie leiht bei den Trachten der Soldaten und Jäger, aber sie ist bei allem Suchen fest entschlossen, die Formen der Frau zu entblößen, den Fluß der Glieder zu verraten, die Drehung der Hüften und das Wechselspiel der Schenkel zu enthüllen und vom Winde zu erwarten, daß er die leichte Hülle aus Musselin und Organdi gegen die nackten Leiber preßt. Die Modekünstlerin Lisfrand und ihre Kolleginnen wagen täglich mehr, die Unterwäsche verschwindet Stück für Stück, ein fieberhaftes Begehren scheint all diese fleischliche Schönheit erfaßt zu haben und ihr die geflüsterten Worte einzugeben: »Nimm mich, ehe es zu spät ist.«

Ehe es zu spät ist! Der Tod ist immer mit im Spiele und zeigt sich bereit, die armen Sterblichen vom Vorwurf der Wollust oder Schamlosigkeit freizusprechen. Es werden blutrote Gürtel à la victime getragen, die emaillierten Spangen sind in Form eines Rutenbündels mit dem Liktorenbeil, es gibt Ohrringe in Form winziger Guillotinen aus Gold. Die langen Hälse in ihrer makellosen Weiße, scheinen sie nicht wie geschaffen für den Schmuck eines roten Schnürchens, »nicht breiter als ein Messerrücken«?  - Friedrich Sieburg, Robespierre. München 1965 (zuerst 1935)