Mrittagsmahl   ›O Adonai, mein jüdisch-tapuiahafter und maurischer Sertão-Gott! Sieh an, daß jedwedes Ding mir das Leben nehmen kann! Ein Tropfen Salzlake, der ins Herz eindringt und eine Arterie verstopft, eine wichtige Ader, die in meiner Brust zerspringt, ein Erstickungsanfall bei einem Husten, eine starke innere Bedrückung, ein heftiger Blutsturz, eine Korallenschlange, die mich beißt, ein Fieber, ein Insektenstich, ein Funke von einem brennenden Blitzstein, ein Blitzschlag, ein Sandsteinchen in den Nieren, ein wagemutiger Feind, ein Stein, der sich von einem Berghang löst - all das und manches andere kann meine Galle gerinnen lassen, mir den Blutknoten abschneiden und im Handumdrehen das Leben rauben. Deshalb, o Herr, verüble es mir nicht, daß ich, solange ich hier auf Erden weile und das Leben genießen kann, das Du selber erzeugt hast, indem Du den Lehm der Sertão-Erde mit der Sonne und der Kraft Deiner Lenden verbandest, Dir die köstliche Ehrung erweise, die ich der Gottheit zu verdanken habe, und sie beginne, indem ich einen guten Schluck von meinem Sertão-Rotwein vom Gefleckten Jaguar trinke.‹ Mit diesen Worten, Herr Richter, ergriff ich den Bockslederbeutel, schraubte seinen Holzdeckel ab, führte das Mundstück an die Lippen, erhob mein Antlitz gen Himmel und nahm den ersten großen Schluck Wein. Sanfte Wärme und süßes und seliges Kribbeln durchströmten sogleich mein Blut, dämpften den Schmerz des Hornissenstichs noch mehr und luden mich ein, mich auf dem Felsplateau auszustrecken, um ein Schläfchen zu halten.

Aber in religiösen Dingen bin ich hart und unbeugsam: es waren noch verschiedene Teile des Rituals zu erfüllen, so daß ich mich beherrschte und nicht niederlegte. Ich hatte die Worte, die ich Ihnen eben erneut vorgelesen habe, im Buch des Sertão-Pilgers gelesen. Ich schlug die Seite um, indem ich den Finger an der Zunge befeuchtete, genau wie ich es Pater Renato mit dem Meßbuch bei den Sonntagsmessen tun sah. Und dann las ich erneut mit lauter Stimme: ›O Adonai, o Adugo, o Sertão-Jaguar des Schrecklichen! Bedenke, daß ich ein Sünder bin, ich, ein Stückchen brauner Sertão-Erde, die in Blut und Sonne gebacken worden ist. Deshalb werde ich mich bald wieder erneut in Erde verwandeln. Bedenke, wie oft ich ganz gegen meinen Willen in Raufereien, Kriege und Sertão-Hinterhalte geraten bin. Ich kann, wieder ohne es zu wollen, in einen neuen Hinterhalt geraten und ermordet werden, mein Leib kann auf der staubigen Straße der Sonne ausgesetzt sein und von Aasgeiern gefressen werden. Und selbst wenn ich das Glück haben sollte, im Bett zu sterben, ändert sich dadurch auch nichts: ich werde in der harten, heißen Sertão-Erde begraben und die Beute blinder Tiere und der Feuersalamander mit glänzender Haut werden. Jawohl, denn schon General Dantas Barretto hat uns alle gewarnt, daß die Strahlen der glühenden Sonne mit zerstörerischer Heftigkeit auf den Sertão-Boden aufschlagen, und der Erdboden seine Eingeweide zu großen Spalten aufklaffen läßt, in die sich hungrige Reptilien auf der Suche nach Nahrung stürzen, die sie an der feurigen Oberfläche nicht finden. So wird dieser Leib, der mir jetzt so viele bebende Genüsse mit Maria Safira verschafft, eines Tages verwesen. Mein Gesicht, mein Mund, mein Haar werden stückweise abfallen. Meine Augen die Sperber fressen. Mein Leib wird zum stinkenden, abstoßenden Skelett werden; später werden meine von der Sonne gebleichten Knochen zerfallen. Mein Kopf wird sich vom Rumpf ablösen, wie dies bei meinem Urgroßvater am Stein des Reiches geschehen ist. Da ich ein Raub der Sperber und Geieradler, der Urubus und der im Sertão umherirrenden Wildschweine werde, so verüble mir nicht, o Herr, daß ich mich jetzt, solange ich noch am Leben bin, ergötze, indem ich das Fleisch der Tiere esse, die ich gejagt und getötet habe, vor allem jetzt dieses in Öl gebackene Würzfleisch und diese Stücke gesalzenen Trockenfleischs vom Rücken und der Lende des Ziegenbocks, den ich gestern zu Deinen Ehren geschlachtet habe.‹   - (stein)

 

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