ime
leonie spiegelt sich in den gleißenden fensterscheiben sie liest
die ankündigung ein berühmter mime des kinos gibt ein
gastspiel in dem kleinen kurort ein gutaussehender vierziger dem die nachwelt
keine kränze flechten wird trübsal blasen ist damals in den jahren nach dem
krieg so gut wie verpönt gewesen man hat nachholbedarf in puncto liebe geht
es allerorten hoch her auch der gebildete mime ist kein kostverächter ha dante
gabrieli ghirlandata sagt er mit schöner betonung er steht hinter leonie die
sich vor dem Schaufenster eines fotogeschäftes in der scheibe betrachtet er
lädt sie in ein touristencafe ein solveig wird zerspringen wenn sie das erfährt
denkt leonie obgleich der berühmte mime unter vier augen weniger gut aussieht
als auf der ankündigung fetter unsolider ein wenig wie ein schwarzhändler er
berichtet diskret von seinen erfolgen bei film und funk trägt echtgoldene manschetten
und einen goldzahn der seine linke mundhälfte wie mit einem verständnisinnigen
augenzwinkern verziert er trinkt eine kleinere menge cognac und leonie hält
sich so lange an gevatter bols bis ihr leichter schwips nicht mehr zu verhehlen
ist sie sind sagt der mime die frau meines lebens und er berichtet weiters von
der einsamkeit die trotz aller äußeren erfolge an seinem herzen wie eine natter
nage er hat eine wirklich schöne aussprache und berührt ständig den linken schenkel
leonies mit seinem flanellgrauen knie es ist inzwischen abend geworden es wird
noch immer sehr früh dunkel fräulein und ist es doch schon gegen ende februar
eigentlich sagt er feber der mime scheut sich nicht seinen wiener dezent durchblicken
zu lassen die deutschen mädels sind einfach patenter als die unsrigen sagt er
und dabei haben sie auch schöne seelen er kommt ihr
jetzt sehr nahe und riecht nach einer mischung von cognac und pitralon
- H.
C. Artmann, Nachrichten aus Nord und Süd. München 1981 (dtv 6317, zuerst
1978)
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