Mief  Nehmen wir den Mief, der in den Häusern herrscht und für deren Bewohner eine Dauerbelästigung darstellt. Er rührt her von den Fäkaliengruben, mit denen ein jedes Gebäude ausgestattet ist. Diese unzähligen Latrinen verbreiten pestilenzialischen Gestank und verseuchen namentlich des Nachts, wenn sie geleert werden, ganze Quartiere, was schon manchen der Unglücklichen, die - vom Elend gezwungen - solch gefährlicher und ekelhafter Arbeit nachgehen, das Leben gekostet hat.

Häufig genug sind diese Gruben schlecht konstruiert und lassen ihren Inhalt in die benachbarten Brunnen sickern. Dies hindert jedoch die Bäcker nicht im geringsten daran, ihr Wasser wie seit eh und je von dort zu holen, obschon sie dadurch unser gebräuchlichstes Nahrungsmittel unvermeidlich zum Träger böser Keime machen. Auch kommt es vor, daß die Kloakenentleerer die Jauche der Einfachheit halber im Morgengrauen in den nächsten Abzugsgraben oder Rinnstein kippen, statt sie mühsam aus der Stadt zu schaffen. Langsam fließt dann die abscheuliche Soße die Straßen hinunter auf die Seine zu, an deren verseuchten Ufern dann die Wasserträger ihre Eimer wieder füllen - füllen mit dem Wasser, das die abgehärteten Pariser nun mal trinken müssen, ob sie wollen oder nicht.

Aber noch Unglaublicheres geschieht: Zerstückelte Leichen, gestohlen oder gekauft von jungen, anatomischer Übung bedürftigen Chirurgen, werden oftmals in die Senkgruben geworfen. Kommen dann diese grausigen Reste bei der nächsten Leerung wieder ans Licht, denkt man als erstes an ein finsteres Verbrechen. Die Arbeit der Kloakenreiniger aber, die schon schrecklich genug ist, wird dadurch noch gefahrvoller, macht, die ihr nachgehen, krank, vergiftet, ja tötet sie sogar. O stolze Stadt! Welch ekle Geheimnisse birgst du hinter deinen Mauern!    - Louis Sébastien Mercier, Mein Bild von Paris. Frankfurt am Main 1979 (zuerst 1788, it 374)

 

Gestank Luft, schlechte

 

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Ausdünstung
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