enschenhülse  Hinter dem riesengroßen, spiegelblanken, aus einem Stück bestehenden Glasfenster saßen, oder schwebten, oder stacken ein bis zwei Dutzend Menschenleiber, das heißt Ausschnitte von Menschenleibern, ohne Kopf, ohne Beine, aber nicht gerade geschlachtet, sondern mehr abgehackt, ausgeschälte Rümpfe mit d'rangelassener Hüfte, aber blutlos, sogar höchst säuberlich, glänzend, seidig, furchtbar graziös und elegant, und wie zum Umarmen und Küssen eingerichtet; also keine Menschenschlächterei, sondern - wie soll ich sagen! - leichenartig conservirte Hüften mit vorgequellter Brust, Menschen-Mumien, aber unter Berücksichtigung und Conservirung des kostbarsten Mittelstücks; alle in verschiedenen Farben, vom schneeigsten Weiß bis zum tiefsten Beinschwarz; die Farben nicht angestrichen, sondern das natürliche Produkt ihres Inhalts; also herausgeschwitzt, und erhärtet; die Ränder prachtvoll wieder mit anderen Farben eingefaßt; besonders ein orangegelber Leib nahm meine ganzen Sinne gefangen; er war schwarz gerändert; die Hüftenschwingung zart; die dünnste Stelle zum mit Knabenhänden umspannend ergötzlich; die Ausladung der Brust kühn und gewaltig; das Ganze eine hoheitvolle Figur, ein Ideal-Wesen. »Magst Du herkommen, wo Du willst, - rief ich innerlich mit einem überquellenden Impuls - und wenn Du auch nur ein Stück bist, so bist Du doch prachtvoll, Du gleisendes Orange-Wesen, und wenn ich Dich besäße, dann wäre wohl mein Glück gemacht!« - So sprechend beugte ich mich ganz über die quer laufende Eisenstange, welche vor der Riesenscheibe zum Anhalten diente, hinüber, um mein süßes Orange-Wesen mit den Augen ganz zu verschlingen. Aber jetzt kam mir doch ein Stück Besonnenheit, und ich begann nachzudenken, wieso diese Bruchstücke von Individuen hierherkämen. Sollte irgendwo eine so kostbare Menschenrasse leben, - begann ich zu grübeln, - von der ich noch nichts weiß, und die man mir verborgen gehalten hat ? Also eine farbige, glitzernde Menschenrasse, ähnlich dem, was unter den Vögeln die Kakadus und Kolibris sind! Aber warum hat man Kopf und Hals weggehackt? Und die Beine ausgeschnitten? Offenbar weil eben die Leiber das Schönste sind. Es sind eben Menschenbälge! Aber nicht federartig, wie die Vögel; sondern seidenartig glänzend; Menschen-Hülsen von einem prachtvollen Geschlecht! Könnte man da nicht hinkommen, wo Die leben?  -  Oskar Panizza, Der Corsetten-Fritz. In: Ders., Der Korsettenfritz. Geschichten. München 1981 (zuerst ca. 1905)
 
 

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Korsett