enschen, gemischte  »Sagen Sie mir eins, Sergeant. Warum haben Sie beständig die Reifen von Wachtmeister Pluck durchbohrt?« Der Sergeant winkte der Kellnerin, bestellte für sich einen Gerstenwein und eine kleine Flasche »davon« für seinen Freund. Dann beugte er sich vertraulich vor. »Haben Sie je die Mollyküle entdeckt oder vom Hörensagen wahrgenommen?« fragte er.
»Natürlich.«
»Würde es Sie überraschen oder zusammenbrechen lassen, wenn Sie wüßten, daß die Mollykül-Theorie in Dalkey am Werk ist?«
»Nun ... Ja und nein.«
»Sie richtet dort schrecklichen Schaden an«, fuhr er fort. »Die Hälfte der Bevölkerung ist davon befallen;  sie ist schlimmer als die Blattern.«

»Könnte nicht die Gesundheitsbehörde die Sache in die Hand nehmen, oder die Gesellschaft der Freunde des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens, oder finden Sie, es geht eher die Haushaltungsvorstände an?«
»Das Wesentliche, der springende Punkt und das, worauf es mir ankommt«, erwiderte er beinahe grimmig, »ist das Landratsamt.«

»Kompliziert genug sieht es allerdings aus.« Der Sergeant trank zierlich, tief in Gedanken versunken. »Michael Gilhaney, einer meiner Bekannten«, sagte er schließlich, »ist ein Mensch, den das Wirken der Mollykül-Theorie schon fast erledigt hat. Würde es Sie ominös verwundern, wenn Sie erführen, daß er auf dem besten Wege in der Gefahr schwebt, ein Fahrrad 2u sein?« Mick schüttelte in höflichem Unverständnis den Kopf. »Er ist nach einfacher Berechnung fast sechzig Jahre alt«, sagte der Sergeant, »und wenn er noch er selber ist, hat er nicht weniger als fünfunddreißig Jahre auf dem Fahrrad verbracht, über die steinigen Feldwege und die unnachgiebigen Hügel hinauf und hinab und hinein in die tiefen Gräben, wenn sich die Straße unter der Mühsal des Winters verliert. Ständig ist er zu jeder Stunde des Tages unterwegs und fährt hierhin oder dorthin, und zu jeder zweiten Stunde des Tages kommt er mit seinem Fahrrad wieder von hierher oder dorther zurück. Wenn ihm nicht jeden Montag das Fahrrad gestohlen würde, wäre es ihm sicher schon mehr als halbwegs gelungen.« »Was wäre ihm halbwegs gelungen?« »Selber ein gottverdammtes Fahrrad zu sein.« Hatte Sergeant Fottrell sich für einmal dazu verstiegen, trunken draufloszureden? Seine Grillen waren für gewöhnlich amüsant, aber weniger gut, wenn sie keine Bedeutung hatten. Als Mick etwas sagte, das darauf abzielte, starrte ihn der Sergeant ungeduldig an.

»Haben Sie je als junger Bursch die Mollykül-Theorie studiert?« fragte er.
Mick sagte: nein, zumindest nicht eingehend.

»Das ist eine sehr ernste Unterschlagung und schwerverständliche Verschlimmerung«, sagte er rauh, »aber ich werde Ihnen sagen, wie es sich damit verhält. Alles besteht aus kleinen Mollykülen seiner selbst, und diese fliegen in konzentrischen Kreisen herum und in hohem Bogen und in Segmenten und unzähligen anderen Routen, zu zahlreich, sie kollektiv zu erwähnen, stehen dabei nie still oder ruhen sich aus, sondern sie flitzen davon und trudeln mal hier-, mal dorthin und sofort wieder zurück, immer auf Achse. Folgen Sie mir soweit verständnisinnig? Mollyküle?« »Ich glaube schon.«

»Sie sind so munter wie zwanzig ungeratene Kobolde, die auf einem flachen Grabstein Reigen tanzen. Nun nehmen Sie mal ein Schaf an. Was ist ein Schaf anderes als Millionen kleiner Teilchen von Schafsmäßigkeit, die durcheinander wirbeln und innerhalb des armen Tieres verzwickte Konvulsionen aufführen? Na? Was?« »Das müßte das Schaf schwindlig machen«, stellte Mick fest, »besonders, wenn sich das Wirbeln auch in seinem Kopf abspielt.«

Der Sergeant ließ ihm einen Blick zuteil werden, den er selbst zweifelsohne als non-possum und noli-me-tangere bezeichnet hätte.

»Das ist eine überaus tollkühne Bemerkung«, sagte er scharf, »denn die Nervenstränge und der Schafskopf selbst sind dem Wirbeln unterworfen, weshalb ein Wirbel den anderen aufhebt, und bitteschön: es ist, als kürzte man einen Bruch, wenn man über und unter dem Strich eine Fünf stehen hat.«

»Darauf bin ich, um die Wahrheit zu sagen, noch nicht gekommen.«

»Mollyküle sind ein sehr verzwicktes Theorem, und man kann ihnen mit Hilfe der Algebra beikommen; es empfiehlt sich aber, dabei schrittweise vorzugehen, Lineale und Kosinen und ähnliche vertraute Instrumente zu benutzen, und wenn man dann alles fertig hat, glaubt man nicht, was man überhaupt bewiesen hat. Wenn das nämlich passierte, müßte man es zurück verfolgen, bis man eine Stelle gefunden hat, an der man seine Fakten und Ziffern, wie sie in der Algebra von Knight & Hall genau niedergelegt sind, wieder glauben kann, und von der betreffenden Stelle müßte man sich dann wieder vorarbeiten, bis man den ganzen Eierkuchen anständig geglaubt hat und nicht Teile davon halb geglaubt hat oder einen Zweifel im Kopf zurückbehält, der einen plagen würde wie ein inmitten des Bettes verlorener Kragenknopf.«

 »Sehr wahr«, entschloß sich Mick zu sagen. »Wenn man heftig genug und oft genug mit einem eisernen Hammer auf einen Stein schlägt, werden einige Mollyküle des Steins in den Hammer gehen, sowie ebensowohl umgekehrt.«

»Das ist wohlbekannt«, pflichtete er bei. »Das Brutto- und Nettoresultat davon ist, daß die Persönlichkeit von Menschen, die die meiste Zeit ihres natürlichen Lebens damit verbringen, die steinigen Feldwege dieses Landkreises mit eisernen Fahrrädern zu befahren, sich mit der Persönlichkeit ihrer Fahrräder vermischt: ein Ergebnis des wechselseitigen Austauschs von Mollykülen, und Sie wären erstaunt über die große Anzahl von Leuten in dieser Gegend, die beinahe halb Mensch, halb Fahrrad sind.«

Mick keuchte leicht vor Erstaunen, und das machte ein Geräusch wie Luft, die aus einem schadhaften Reifen austritt.

»Guter Gott, ich vermute. Sie haben recht.«

»Und Sie wären unsagbar baff, wenn Sie die genaue Zahl stämmiger Fahrräder kennten, die heiter am menschlichen Leben Anteil nehmen.« - Flann O'Brien, Aus Dalkeys Archiven. Frankfurt am Main 1982 (BS 623, zuerst 1964)

Menschen, gemischte (2)

                                             .... hor30
Er seiner Seele zu und sprach: »Ich bin
Gemischt, ein jedes Blut ist in mir drin,
Ein Kelte, Slawe, Schotte und Tatar,
Holländer auch, denn nachher jedesmal
Seh einen andern Menschen ich in mir,
Bald einen reichen, bald 'nen armen Bold31,
Bald ist's ein Schloß, bald scheint die Nacht so hold
Allein auf mich, der Strahlen Durcheinander
Als Schindelschutz verwoben miteinander,
Und auf dem Rasen Knäufe von drei Türen,
Damit ich weiß, in welchen Raum marschieren
Und Ruhe finden. Ich ein andermal
Bin König, und bin Schweinehirt im Stall,
Ein Bettler, Priester oder Taschendieb,
Und oft aus weitem Osten ich schon trieb
Von Spiegeln und Gewürz die Karawane;
Aus ferner Zeit und doppelt ich mich ahne.
Und manchmal kommt im Zehenspitzentrott
Das Blut von Kindern ängstlich«, und, weiß Gott
Solch's denkend, laut er sich mit Namen ruft:
»Sepp Stiefelgeil und Kurt Kuck-in-die-Luft,
In-Ordnung-Justus und Lord Heißsporn fein,
Hans Husch bescheiden«, und zur Teufelei
Setzt in den »Rinder-Ruf« er die Annonce
Als Karlchen Klopfer, Ungemaches Bonze32,
Berater, Vater, Bruder, Freund in Barmheit33;
Das eine, einz'ge Siedefaß der Wahrheit,
Darein der Reue Kleid geworfen schnell
Zurückkehrt doppelt glatt und doppelt hell,
Im Unflatsmantel mög' der Mann nun prangen,
Der sündeneng ihm um den Hals gehangen,
So neu getauft, daß rosensüß er riecht,
In alten Kleidern neue Seele kriecht...

30 Hörte.
31 Kerl.
32 Zeremonienmeister
33 Erbarmen, Mitleid

- (ryder)

Mensch, gemischter (3)

- N. N.

Menschen, gemischte (4)



Menschen  Fahrrad

 


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