ehrdeutigkeit
Die Quantentheorie eröffnet den Blick auf eine merkwürdige
neue Welt. Ein Photon, das einen Spalt
durchquert und dabei offenbar »weiß«, was in einiger Entfernung
geschieht — das klingt schon merkwürdig genug; doch eine Katze,
die zugleich lebendig und tot ist,
ist selbstverständlich völlig absurd. Doch all das folgt zwangsläufig
aus der Möglichkeit, die Vektoren im Hilbert-Raum zu kombinieren.
Vom deterministischen Zustandsraum zum Hilbert-Raum scheint die
Pendelbewegung von absoluter Gewißheit zu totaler Mehrdeutigkeit
zu führen. Das grundlegende Paradoxon liegt natürlich darin,
daß wir in der alltäglichen Welt keine Mehrdeutigkeit beobachten
können. Wenn wir schließlich den Deckel der Katzenkiste öffnen,
wissen wir sehr gut, daß wir entweder eine lebendige oder eine
tote Katze erblicken werden. Mit
dem Öffnen der Schrödingerschen Kiste scheint eine mehrdeutige
Mischung von Möglichkeiten zu einem einzigen Ergebnis zu schrumpfen
oder zu kollabieren. - F. David
Peat, Der Stein der Weisen. Chaos und verborgene Weltordnung.
Hamburg 1992 (zuerst 1991)
Mehrdeutigkeit (2) Freud
behauptet die Mehrdeutigkeit des Traumes. Ein Traum
kann je nach der Deutung seiner Traumelemente ganz verschiedenen
Inhalt offenbaren. Freud schiebt auch das auf den Traum
selbst. Der Traum verfahre wie der Mann, der einen Kessel seinem
Eigentümer beschädigt zurückgeliefert habe und dann behauptet:
Erstens habe er den Kessel unbeschädigt zurückgeliefert; zweitens
habe der Kessel schon ein Loch gehabt, als er ihn bekam; drittens
habe er überhaupt keinen Kessel erhalten - ohne sich um den Widerspruch
zwischen den drei Behauptungen im geringsten zu kümmern. So verfahre
auch der Traum, und deshalb sei er mehrdeutig. Wir können es
auf sich beruhen lassen, ob der Traum so verfährt. Jedenfalls
erweitert die Mehrdeutigkeit noch die ohnehin so breiten Deutungswege.
- Carl Christian Bry, Verkappte Religionen. Kritik des
kollektiven Wahns. Nördlingen 1988 (Greno 10/20 85, zuerst 1924)
Mehrdeutigkeit (3)
Eine andere hatte dasselbe Traumgesicht, und ihr Sohn wurde ein Hierophant;
denn heilig ist der Drache, heilig auch der Myste. In diesem Fall war die Träumende
die Gattin eines Priesters. Eine dritte träumte dasselbe Traumgesicht, und ihr
Sohn wurde ein hervorragender Weissager; der Drache ist nämlich dem Apollon,
dem Ur- und Vorbild aller Weissager, geheiligt. Diese Frau war die Tochter eines
Weissagers. Eine vierte hatte dasselbe Gesicht, und ihr Sohn wurde ein zügelloser
und frecher Bursche und verführte viele Frauen in der Stadt; denn der Drache
geht krumme Wege. Es war aber schon die Mutter ein Ausbund von Geilheit und
Hurerei. Eine fünfte träumte dasselbe Traumgesicht, und ihr Sohn wurde als Straßenräuber
ergriffen und geköpft, denn der Drache wird, wenn er eingefangen wird, auf den
Kopf geschlagen und endet so. Auch dieses Weib war ganz und gar nicht ohne Fehl.
Der Sohn einer sechsten, die dasselbe Traumerlebnis hatte, wurde ein flüchtiger
Sklave; denn der Drache windet sich durch die engsten Spalten und versucht,
sich den Blicken der Verfolger zu entziehen. Die Mutter selbst war eine Sklavin.
Einer siebenten träumte dasselbe, und ihr Sohn wurde gelähmt; denn der Drache
bedient sich zum Vorwärtskommen seines ganzen Körpers, genauso wie die Gelähmten.
Als die Frau dieses Traumgesicht schaute, lag sie an einer Krankheit danieder.
Es war zu erwarten, daß das während der Krankheit empfangene und ausgetragene
Kind sich nicht normal fortbewegen würde. - (
art
)
Mehrdeutigkeit (4)
Die Conodonten wurden in so ziemlich jede Hauptgruppe des Pflanzen- und Tierreichs
gestellt, angefangen von Stützstrukturen bei Algen bis hin zu Kopulationsorganen
von Nematoden (Fadenwürmern). - Stephen Jay Gould, Das Lächeln des Flamingos. Basel, Boston, Berlin 1989
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