ax, Strammer  An einem gemütlichen Sonntagvormittag, gerade als die Kirche aus war, schlachteten die Kinder alle erwachsenen Bewohner von Gatlin (Nebraska) gelassen ab. Gatlin war ein so abgelegenes Nest, daß sich nur ganz selten jemand dort hin bemühte, Schließlich passierte es aber doch. Der junge Arzt Dr. Stanton geriet auf einer Überlandreise in das Kinderkaff und wunderte sich, daß kein Erwachsener im Dorf zu sehen war. Er hielt einen rothaarigen Bengel am Ärmel fest, der zufällig über die Straße lief, und fragte ihn: »Wo sind denn Deine Eltern?«

»Aufgegessen«, antwortete die Rotznase und riß sich los,

»Und die anderen Erwachsenen?«

Die Rotznase grinste. »Aufgegessen.«

Stanton lachte gutmütig.

Er ging in ein Café und staunte nicht schlecht: An allen Tischen saßen Kinder, die sogar von Kindern bedient wurden. Kinderaugen sahen ihn gierig an. Stanton deutete die Blicke als Neugierde und setzte sich so unbefangen wie möglich an einen freien Tisch. Sofort kam ein etwa dreizehnjähriges Mädchen von der Theke herüber.

»Sie wünschen?«

»Hackfleisch mit Spiegelei«, bestellte der Arzt.

Das Mädchen fragte zur Theke: »Kann er Hackfleisch kriegen?«

»Natürlich«, rief jemand zurück. »Es gibt bald neues.«

Während das Mädchen in der Küche war, begann Stanton nachzudenken. Er überlegte, ob er es in diesem Dorf mit einem bislang unentdeckten Phänomen zu tun habe. Vielleicht begründet durch jahrhundertelange Inzucht, blieben die Dorfbewohner in einer bestimmten Entwicklungsphase stehen und sahen noch mit achtzig aus wie Fünfzehnjährige. Das Mädchen brachte einen Strammen Max, der angenehm süßlich roch. - Martin Ebbertz, Der Rabe 35. Zürich 1993