atrose  Ich sah es seinen Augen an, daß der Mann gute Bücher las, und ich hätte mein Leben dagegen gewettet, daß er das richtige Verständnis für Montaigne besaß. Ich sah, daß er ein ernster Denker war, und hatte den starken Verdacht, daß er in der Mühle der Widerwärtigkeiten umhergestoßen worden war. Aus allen diesen Gründen zog es mein Herz zu ihm hin, und ich beschloß, ihn kennenzulernen.

Schließlich gelang es mir. Es war während einer abgrundtief stillen Mitternachtswache, als ich ihn allein auf dem Mitteldeck umherwandern sah, während die meisten der Leute auf den Geschützlafetten dösten.

In dieser Nacht durchstreiften wir alle Weidegründe der Literatur, tauchten hinab in die Brust der Schriftsteller und zogen ihre Herzen hervor, und in dieser Nacht lernte Weißjacke mehr, als er seitdem jemals in einer Nacht gelernt hat.

Der Mann war ein Wunder. Er versetzte mich ebenso in Erstaunen wie Coleridge die Soldaten, unter denen er angeworben worden war. Was einen solchen Menschen veranlaßt haben konnte, auf ein Kriegsschiff zu gehen, vermag all meine Klugheit nicht zu ergründen. Und wie er inmitten einer solchen pöbelhaften Bande so, wie er es tat, seine Würde zu wahren wußte, war ebenfalls ein Rätsel. Denn er war kein Matrose und wußte tatsächlich ebensowenig von einem Schiff wie jemand, der von den Quellen des Niger kam. Und doch achteten die Offiziere ihn, und die Männer hatten Angst vor ihm. Indes sah man soviel, daß er jeden ihm übertragenen besonderen Auftrag gewissenhaft ausführte und soviel Glück hatte, sich nie einen Verweis zuzuziehen. Zweifellos sah er die Dinge genauso an wie jeder andere von der Mannschaft und hatte sich frühzeitig entschlossen, sich so zu verhalten, daß er nie Gefahr lief, mit der Peitsche Bekanntschaft zu machen. Und das muß es gewesen sein - außer irgendeinem, wer weiß welchem, Kummer, von dem er nicht zu sprechen vermochte -, was diesen Nord sogar unter unserem Kriegsschiffspöbel zu einem solchen wandernden Einsiedler machte.  - (weiss)

Matrose  (2)  Ich war nur eben gerade schlichter Deckarbeiter, das war alles. Mußte alle Arbeit machen, die vorkam. Ganz ehrlich gesagt, ich war nur ein Anstreicher. Die Maschine läuft von selbst. Und da die Arbeiter beschäftigt werden müssen und andre Arbeit nur in Ausnahmefällen vorkommt, wenn nicht Laderäume gereinigt werden sollen oder etwas repariert werden muß, so wird eben immer angestrichen. Von morgens bis abends, und das hört nie auf. Da ist immer etwas, was angestrichen werden muß. Eines Tages wundert man sich dann ganz ernsthaft über dieses ewigwährende Anstreichen, und man kommt ganz nüchtern zu der Auffassung, daß alle übrigen Menschen, die nicht zur See fahren, nichts andres tun, als Farbe anfertigen. Dann empfindet man eine tiefe Dankbarkeit gegen diese Menschen, weil, wenn sie sich eines Tages weigerten, noch weiter Farbe zu machen, der Deckarbeiter nicht wüßte, was er nun tun soll, und der Offizier, unter dessen Kommando die Deckarbeiter stehen, in Verzweiflung geriete, weil er nicht wüßte, was er nun den Deckhands befehlen soll. Sie können doch ihr Geld nicht umsonst bekommen. - B. Traven, Das Totenschiff. Reinbek b. Hamburg 1963 (rororo 126, zuerst 1929)

Matrose  (3)

- Jean Cocteau

 

 

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