Mann, toter 

 

- N.N.

Mann, toter (2) Einst machte sich eine Gesellschaft von Arowaken auf zum Berbice, und unterwegs wurden sie alle ermordet. Es waren lauter verheiratete Männer. Ihre Frauen hatten sie zurückgelassen am Pomeroon. Die Frauen nahmen alle andere Männer, außer einer. Diese war so traurig über den Verlust ihres Mannes, daß sie keinen anderen haben wollte. Sie fand Trost in ihren zwei kleinen Kindern. Nach einiger Zeit begab es sich, daß das ganze Dorf zu einem Trinkfest zog, nur die Witwe blieb allein zurück. Als die Nacht hereinbrach, hörte sie vom Fluß her Flöte blasen. Der Ton kam näher und näher. Sie erkannte die Weise ihres Mannes und sagte zu ihrem Kinde: »Diese Melodie pflegte dein Vater zu spielen. Vielleicht wurde er allein gerettet, als alle anderen getötet wurden.«

Tatsächlich war es das Gespenst des Mannes, das versuchte, nach Hause zu kommen. Nachdem der Geist die Landungsstelle erreicht hatte, band er sein Boot an und kam herauf zum Hause, wo die Frau ihn erkannte.

Er sagte: »Guten Tag!« und fragte, ob es ihr gut gehe, und erkundigte sich nach den beiden Kindern. Darauf bat er sie, seine Hängematte aufzuspannen, denn er sei krank zurückgekommen. Als er in seiner Hängematte lag, begann er ihr genau alles zu berichten, was geschehen war, wie er mit all den anderen getötet wurde. Nach einiger Zeit sagte er: »Geh und hol Licht! Es müssen viele Flöhe hier sein. Sie beißen mich schrecklich in den Rücken.« Aber anstatt Flöhe waren es Würmer, die in ihm nagten, und als die Frau mit einem Feuerbrand kam, konnte sie sie heraus- und hereinkriechen sehen. Sie sagte: »Nein, nein, es sind keine Flöhe da!« Da sie nun all die Würmer gesehen hatte, wußte sie, daß es ihres Mannes Gespenst sein müsse und nicht sein Körper, der zurückgekommen war. Es war ein Zeichen für sie, daß etwas geschehen würde.

Wieder und noch ein drittes Mal bat er sie, ihm die Flöhe abzusuchen, aber sie bestand auf ihrem: »Nein, nein, es sind keine Flöhe da.«

Unterdessen überlegte sie, wie sie sich retten könne. Sie fing an zu spucken und spuckte immer auf dieselbe Stelle, bis dort eine kleine Lache von Speichel war. Dann schlüpfte sie leise zum Hause hinaus und lief der nächsten Ansiedlung zu. Als das Gespenst sie nun wieder bat, die Flöhe zu fangen, antwortete der Speichel: »Nein, nein, es sind keine Flöhe da!« Und so wiederholten sich Frage und Antwort. Aber als der Speichel endlich eingetrocknet war, konnte er nicht mehr sprechen, und sobald das Gespenst keine Antwort bekam, stieg es aus der Hängematte und folgte den Spuren der Frau.

Der Feuerbrand, den sie trug, war erloschen. Sie lief weiter im Dunkeln, der Geist laut rufend hinter ihr her. Als er immer näher kam, erinnerte sie sich an ein altes Gürteltierloch. Darin verbarg sie sich, während der Geist vorbeieilte. Er bemerkte jedoch bald, daß sie ihn überlistet hatte, und kehrte zu der Stelle zurück, wo sie so plötzlich verschwunden war. Dort blieb er stehen und sann nach, und sie hörte ihn vor sich hinsagen: »Ich bin tot. Aber obgleich ich tot bin, suche ich sie, und ich werde sie auch bald töten.«  - Südamerikanische Indianermärchen. Hg. Felix Karlinger und Elisabeth Zacherl. München 1992 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

Mann, toter (3)

Mann, toter (4)  Sie spielten Bridge und Billard, machten lange Automobilfahrten längs des Meeres, lauschten der Stimme de Wellen, die in Hexametern und Pentametern redeten, wahrem Tito zuweilen, sentimentaler als ein Pierrot, mit Verlaine sagte «La mer est plus belle que les cathédrales»; die Nächte verbrachten sie beim Bakkarat, und sie schwammen zusammen. Titt konnte schwimmen. Der Herr Gemahl nicht. Aber Tito lehrte ihn wenn auch nicht gerade den Kanal zu durchschwimmen, abei wenigstens doch, sich bei einem Schiffbruch zu retten.. Was nichi gelang, ihm beizubringen, vermutlich wegen der übergroßer Schlankheit des Schülers, war, den «Toten Mann» zu machen.

Tito hielt ihn auf seinen Armen und forderte ihn auf, den Kopfwirbel vier Finger tief unter die Wasserfläche zu tauchen und mit ausgebreiteten Armen still zu liegen. Er setzte ihm das Prinzip des Archimedes auseinander, wonach ein in einer Flüssigkeit liegender Körper... Aber kaum ließ Tito ihn los, versank der Armenier gänzlich.

«Wie gehen die Lektionen?» lächelte Frau Kalantan jeden Morgen, wenn sie im feuchten Pyjama in das Hotel zurückkamen.

«Ich schwimme schon unter Wasser, zwölf Meter in der Minute, aber den ‹Toten Mann› zu machen will mir nicht gelingen.»

Eines Tages wollte Herr Ter-Gregorianz allein in einer stillen Bucht schwimmen. Aber eine treulose Welle riß ihn fort, verschluckte ihn. Er versuchte zu schreien, doch das Wasser drang ihm in den Mund; man sah zwei Füße hilferufend aus dem Wasser ragen und dann nichts mehr.

«Nun?» fragte die Dame, die Hände auf männliche Art in den Taschen haltend, als sie Tito, der allein ins Hotel zurückkehrte, entgegenkam. «Hat mein Mann gelernt, den ‹Toten Mann› zu machen?»

Tito antwortete: «Ja.»

Er wurde in Paris auf dem armenisch-gregorianischen Friedhof begraben. Im Trauergefolge wurden alle ehemaligen Liebhaber der Gattin bewundert und auch die zukünftigen.  - Pitigrilli, Kokain. Reinbek bei Hamburg 1988  (zuerst 1922)

Mann, toter (5) Diese verfluchten Krämpfe waren in den letzten zwei, drei Jahren immer häufiger aufgetreten. Erste Symptome des Alters, das hinter der Ecke lauerte? Er ließ sich weiter treiben. Die Schmerzen wurden allmählich schwächer, sodass er zwei Schwimmzüge rückwärts machen konnte. Beim zweiten Zug stieß er mit der rechten Hand gegen etwas.

Im Bruchteil einer Sekunde begriff Montalbano, dass dieses Etwas der Fuß eines Menschen war. Direkt hinter ihm machte noch jemand den toten Mann, und er hatte ihn nicht gesehen.

»Entschuldigung«, sagte er hastig und drehte sich auf den Bauch.

Der andere gab keine Antwort, er machte nämlich nicht den toten Mann. Er war wirklich tot. Und so wie er aussah, war er das schon ziemlich lange.  

Montalbano schwamm verwirrt um die Leiche herum und versuchte, das Wasser nicht mit den Armen aufzuwühlen. Inzwischen war es hell geworden, und der Krampf war vorbei. Die Leiche war wirklich nicht frisch, sie musste schon lange im Wasser liegen, denn viel Fleisch hing nicht mehr an den Knochen und der Kopf war praktisch ein Schädel. Ein Schädel mit Algenfrisur. Das rechte Bein löste sich fast vom Körper. - Andrea Camilleri, Das kalte Lächeln des Meeres. Bergisch Gladbach 2004

 

Mann Tote Rückenschwimmer

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme