Mann, lieber  Als Andrej  einmal nicht nach Hause kam, sondern erst um zwei Uhr nachts auftauchte, und Großmutter Sima ihn im Korridor mit dem wilden Schrei «Geh dorthin, wo du herkommst» und dem Holzschemel empfing, bekam ich eine Herzattacke. Am Morgen rief ich jenen Arkadi Jakowlewitsch an, und er sagte mir mit der munteren Stimme, die er immer kurz nach einem Besäufnis, aber noch weit weg vom nächsten hatte:

«Andrianowna, holen Sie auf alle Fälle einen Krankenwagen, auch wenn Herzinfarkt bei Frauen selten vorkommt.» (Woraus ersichtlich ist, daß Arkadi Jakowlewitsch auf der Männerkardiologie gelegen und niemals in die Frauenstation hineingeguckt hat.) Und dann fragte er, was passiert sei. Und dann, wie alt Andrej ist.

«Und Sie erwarten, daß er mit dem Schrei ‹um Zehn wartet meine Mama auf mich› aus dem Bett seines Mädchens springt? Ich hätte mit vierzehn beinahe ein Kind in die Welt gesetzt, und er ist schon sechzehn.»

Er hat mich immer sehr beruhigt, dieser A.J. Wir lernten uns über Mascha kennen, ich stellte für sie einen Gedichtband zum Arbeiter-Thema zusammen, ich war bereits aus dem Verlag und überall rausgeschmissen worden - das ist eine lange Geschichte -, durfte mich wegen des Minsker Traktorenwerkes nicht mehr in Maschas Redaktion blicken lassen, und offiziell stellte sie den Band zusammen, sie hat mir dann fünfundzwanzig Prozent des Honorars überlassen und spater noch zweimal einen 25-Rubel-Schein, aber auch darüber war ich schon froh, kurz und gut, A. J. war der Sohn eines Poeten, der sich mit dem Arbeiter-Thema beschäftigte, ich hatte diesen Dichter bei meinen Recherchen in der Bibliothek entdeckt, ich sehe: einmal Gedichte zur Oktoberrevolution, und dann noch Gedichte zum 1. Mai, also Thema Arbeiter. Ich war da sehr genau. Ich rief Jakow Dobrynin an, aber eine männliche Stimme teilte mir mit, er sei nicht da, ich fragte, wann er käme, und die männliche Stimme entgegnete, daraufgäbe es keine Antwort. Ich schluckte, das Herz rutschte mir in die Hose, doch ich erklärte, worum es ging, und so lernte ich Arkascha kennen, ein wirklich sehr lieber Mann, dessen Frau meinen Besuch eindeutig interpretierte, alle Ehegattinnen haben meine Besuche stets eindeutig interpretiert, obwohl sie immer sehr freundlich zu mir waren, das muß man sagen, und eine Dichtergattin, die am Telefon zugesagt hatte, mir mein Manuskript mit Gedichten, das ich ihrem Mann überlassen hatte mit der Bitte um Beurteilung und Auskunft, ob es sich lohne weiterzumachen, um zehn Uhr abends zurückzugeben - sie kam tatsächlich um zehn auf mein Klingeln im Evakostüm an die Tür, nur den Busen hatte sie zusammengerafft: «Wir liegen schon im Bett.» Schwierig ist die Freundschaft ihrer Gattinnen.    - Ljudmila Petruschewskaja, Meine Zeit ist die Nacht. Aufzeichnungen auf der Tischkante.  Berlin 1991 (zuerst 1990)

 

Mann

 

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