ann, grauer  Die Sonne fing jetzt stärker zu scheinen an und ward den Damen beschwerlich; die schöne Fanny richtete nachlässig an den grauen Mann, den, soviel ich weiß, noch niemand angeredet hatte, die leichtsinnige Frage: ob er nicht auch vielleicht ein Zelt bei sich habe? Er beantwortete sie durch eine so tiefe Verbeugung, als widerführe ihm eine unverdiente Ehre, und hatte schon die Hand in der Tasche, aus der ich Zeuge, Stangen, Schnüre, Eisenwerk, kurz alles, was zu dem prachtvollsten Lustzelt gehört, herauskommen sah. Die jungen Herren halfen es ausspannen, und es überhing die ganze Ausdehnung des Teppichs — und keiner fand noch etwas Außerordentliches darin. — Mir war schon lange unheimlich, ja gräulich zumute, wie ward mir vollends, als beim nächst ausgesprochenen Wunsch ich ihn noch aus seiner Tasche drei Reitpferde, ich sage dir, drei schöne, große Rappen mit Sattel und Zeug herausziehen sah! — denke dir, um Gottes willen! drei gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus schon eine Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig Schritte lang und zehn breit, ein Lustzelt von derselben Größe, und alle dazu gehörigen Stangen und Eisen herausgekommen waren! — Wenn ich dir nicht beteuerte, es selbst mit eignen Augen angesehen zu haben, würdest du es gewiß nicht glauben. — So verlegen und demütig der Mann selbst zu sein schien, so wenig Aufmerksamkeit ihm auch die andern schenkten, so ward mir doch seine blasse Erscheinung, von der ich kein Auge abwenden konnte, so schauerlich, daß ich sie nicht länger ertragen konnte. Ich beschloß, mich aus der Gesellschaft zu stehlen, was bei der unbedeutenden Rolle, die ich darinnen spielte, mir ein leichtes schien. Ich wollte nach der Stadt zurückkehren, am andern Morgen mein Glück beim Herrn John wieder versuchen und, wenn ich den Mut dazu fände, ihn über denselben grauen Mann befragen. — Wäre es mir nur so zu entkommen geglückt! Ich hatte mich schon wirklich durch den Rosenhain, den Hügel hinab, glücklich geschlichen und befand mich auf einem freien Rasenplatz, als ich aus Furcht, außer den Wegen durchs Gras gehend angetroffen zu werden, einen forschenden Blick um mich warf. — Wie erschrak ich, als ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zukommen sah. Er nahm sogleich den Hut vor mir ab und verneigte sich so tief, als noch niemand vor mir getan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich anreden, und ich konnte, ohne grob zu sein, es nicht vermeiden. Ich nahm den Hut auch ab, verneigte mich wieder und stand da in der Sonne mit bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich sah ihn voller Furcht stier an und war wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr verlegen zu sein; er hob den Blick nicht auf, verbeugte sich zu verschiedenen Malen, trat näher und redete mich an mit leiser, unsicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden.

»Möge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es wage, ihn so unbekannterweise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn. Vergönnen Sie gnädigst —« — »Aber um Gottes willen, mein Herr!« brach ich in meiner Angst aus, » was kann ich für einen Mann tun, der —« wir stutzten beide und wurden, wie mir deucht, rot.

Schattenverkauf

Er nahm nach einem Augenblick des Schweigens wieder das Wort: »Während der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, mich in Ihrer Nähe zu befinden, hab‘ ich, mein Herr, einigemal — erlauben Sie, daß ich es Ihnen sage — wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen, schönen Schatten betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen. Verzeihen Sie mir die freilich kühne Zumutung. Sollten Sie sich wohl nicht abgeneigt finden, mir diesen Ihren Schatten zu überlassen?« - Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Frankfurt am Main 1973 (it 27, zuerst 1813, m. Illustr. v. Emil Preetorius)

Mann, grauer (2)   Johannes zog sich auf sein Zimmer zurück und dachte, es wäre gut, wenn der alte graue Mann käme. Da kam der alte graue Mann und sagte: »Was ist heute mit dir los, Johannes?«

»Etwas Großes und nichts Kleines«, sagte Johannes. »Der König will drei Flaschen Wasser vom Brunnen des Lebens haben.«

»Komm heraus und springe auf meinen Rücken: das ist nicht so einfach zu erlangen«, sagte der alte Mann.

Johannes und der alte graue Mann machten sich auf und ritten eine sehr lange Strecke; und der alte graue Mann sagte zu Johannes: »Johannes, komm von meinem Rücken herunter, nimm dir einen tüchtigen Wackerstein und gib mir damit einen Schlag zwischen die Ohren und töte mich - denn ich kann nicht weiter laufen - und wenn du mich getötest hast, - schlitze meinen Bauch auf und krieche hinein; lasse aber etwas von meinen Eingeweiden an der Seite heraushängen. Fünf Raben werden kommen, um davon zu fressen, du sollst deine Hand vorsichtig herausstrecken und zwei von ihnen fangen; dann werden die beiden anderen zu dir sagen: ›Lasse unsere Brüder heraus zu uns.‹ Dann sage du zu ihnen, du wolltest sie nicht herauslassen, ehe sie dir nicht fünf Flaschen Wasser vom Brunnen des Lebens gebracht hätten; und wenn sie damit kommen, gib gut acht, daß sie dir keinen Streich spielen. Ist es das richtige Wasser, so werde ich lebendig aufstehen, wenn du etwas davon auf mich gießest; wenn es aber nicht das richtige ist, werde ich mich nicht rühren; und du sollst fürchterliche Drohungen ausstoßen, daß du die beiden Raben, die du drinnen hast, töten willst, wenn sie dir nicht das richtige Wasser bringen.«

Da ging Johannes hin, schlug dem alten grauen Mann mit dem Stein zwischen die Ohren und tötete ihn. Er schlitzte seinen Bauch auf und kroch hinein. Die fünf Raben kamen, um von den Eingeweiden des Pferdes zu fressen; da streckte Johannes seine Hand aus und fing zwei von ihnen; die anderen Raben flehten ihn an, ihre Brüder wieder zu ihnen herauszulassen. »Ich werde sie nicht herauslassen«, sagte er, »ehe ihr mir nicht fünf Flaschen Wasser vom Brunnen des Lebens geholt habt.«

Sie flogen fort und kamen zurück mit den fünf Flaschen. »Hier«, sagten sie, »gib uns nun unsere Brüder zurück.«

»Das werde ich nicht tun«, sagte er, »bis ich weiß, ob ihr das richtige Wasser gebracht habt.«

Er schüttete einen Tropfen auf das Pferd, aber das Pferd rührte sich nicht. Da packte er die beiden Raben, die er drinnen hatte, bei den Köpfen und tat, als wolle er sie ihnen umdrehen, und sagte: »Ich werde euch den Kopf abreißen, wenn ihr mich nicht das richtige Wasser bringt.«

Die Raben machten sich auf, das Wasser zu holen, und blieben eine lange Zeit fort; dann brachten sie ihm das Wasser, und er schüttete etwas davon auf das Pferd, da sprang das Pferd auf und wurde wieder lebendig und sagte zu Johannes: »Gut hast du dich gehalten, Johannes.« - (schot)

Mann
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