ann, alter  Allein der Anblick des Alten züchtete bereits Ungeziefer heran. Der Unflat seiner Seele hatte sich in einer Weise auf seine Hände und sein Gesicht gelegt, daß man sich keine schrecklichere Berührung hätte denken können. Wenn er durch die Straßen ging, schienen die schmutzigsten Rinnsale, aus Furcht, sein Bild widerzuspiegeln, zu ihrer Quelle zurückfließen zu wollen.

Sein Vermögen, von dem behauptet wurde, es sei gewaltig, und dessen Umfang Kenner nur mit Tränen des Entzückens in den Augen schätzten, sei, so hieß es, an den seltsamsten Orten verborgen, denn niemand erkühnte sich, eine sichere Mutmaßung über die finanziellen Anlagen dieses Alptraums zu wagen.

Man erzählte lediglich, seine Leichenhand sei verschiedene Male bei gewissen finanziellen Machenschaften im Spiel gewesen, die zu prächtigen Pleiten geführt hatten, als deren Urheber einige Fröschezüchter seine Person betrachteten. Er war indes kein Jude, und wenn man ihn einen «alten Wucherer» schimpfte, dann hatte er eine Art, ein sanftes Gott vergelte zu entgegnen, die auch den durchtriebensten Kerlen einen leichten Schauer den Rücken hinunterjagte. Einzig sicher schien zu sein, daß dieses schauerliche Lumpengestell in einem der vom Zentrum abgelegenen großen Stadtviertel ein Haus besaß, das sehr viel Miete einbrachte. Genau wußte man es jedoch nicht. Vielleicht besaß er sogar mehrere. Die Legende besagte, daß er in einem dunklen Schlupfwinkel unter der Dienstbotentreppe hauste, zwischen dem Latrinenrohr und der Loge des Pförtners, den diese Nachbarschaft allmählich in den Wahnsinn trieb. - Leon Bloy, Unliebsame Geschichten. Stuttgart 1983 (Die Bibliothek von Babel, Bd. 4, Hg. J. L. Borges)

Mann, alter (2) Ich betrete das Atelier. Hier geht Degas wie ein Bettler angezogen umher, in Pantoffeln, die schlotterige Hose nie ganz zugeknöpft. Eine weit offene Türe läßt deutlich im Hintergrund eine Örtlichkeit erkennen, die man sonst nicht den Blicken preisgibt.

Zu denken, daß dieser Mann einmal elegant war, daß sein Benehmen, wenn er will, von ungesuchter Vornehmheit ist, daß er seine Abende einst in den Kulissen der Großen Oper zubrachte, daß man ihm an den Rennen von Longchamp begegnen konnte! Er, der sensibelste Beobachter der menschlichen Gestalt, der grausamste Liebhaber der Linien und Haltungen des Frauenkörpers, ein gewiegter Kenner der Schönheiten edelster Pferde, der hellsichtigste, überlegteste, anspruchvollste, unnachgiebigste aller Zeichner der Welt... Und überdies der geistvolle Gesellschafter, dessen Sarkasmen in kühnem Mißbrauch der Gerechtigkeit ein paar schlagende Wahrheiten festnageln — und tödlich verwunden ...

Da steht er: ein nervöser Alter, fast immer trübsinnig, ja mitunter völlig herabgestimmt, finster und zerfahren, um im nächsten Augenblick aufzuflammen, von irgendeinem jähen Zorn gepackt, irgendeiner plötzlichen Eingebung, einer kindlichen Regung oder Ungeduld, irgendeiner Laune gehorchend ...

Dann wieder besänftigt er sich, hat lichte Augenblicke und Anwandlungen von rührender Zartheit.  - (deg)

Mann, alter (3) Eine kalte Schnauze stieß gegen seine Wange, und bei dieser Berührung sprang seine Seele wieder in die Gegenwart. Seine Hand fuhr ins Feuer und zog ein brennendes Scheit heraus. Einen Augenblick von seiner ererbten Furcht vor dem Menschen überwältigt, zog der Wolf sich zurück und schickte seinen Brüdern einen langgezogenen Ruf, und die antworteten gierig, bis sich ein Kreis zusammengekrochener, geifernder grauer Tiere um ihn schloß. Der alte Mann spürte, wie dieser Kreis enger wurde. Er schwang wild seinen Brand, und das Schnaufen wurde zum Knurren, aber die keuchenden Bestien wollten nicht weichen. Jetzt schlängelte sich eine, den Hinterleib nachziehend, vorwärts, jetzt eine zweite, jetzt eine dritte, aber keine einzige wich zurück.

Warum sich ans Leben klammern? fragte er sich und ließ das flammende Scheit in den Schnee fallen. Es zischte und erlosch. Der Kreis knurrte unruhig, blieb aber liegen. - Jack London, Das Gesetz des Lebens. In: J.L., Die konzentrischen Tode. Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 14, Hg. Jorge Luis Borges

Mann, alter (4)  »Du hörst dich gerne reden«, sagte die Frau. »Ganz besonders dann, wenn du weißt, daß es mich ärgert.«

»Entschuldige«, sagte Mr. Pebble selbstzufrieden. »Wenn du keine Lust zum Reden hast, Spray, meine klapprige Alte, was willst du dann tun?«

»Was will ich schon tun?« fragte sie. Mr. Pebble zuckte leicht zusammen.

»Nicht das«, sagte er hastig. »Du erschreckst mich. Das wird allmählich recht problematisch. In unserem Alter sollten wir Sex vergeistigen, uns auf eine luftige Existenz mit Engelsflügeln vorbereiten. «

»Quatsch!« schnappte die mit Spray angeredete Frau. »Ich würde meine Flügel ohne Bedauern gegen einen ordentlichen Schuß Sex eintauschen.«

»Wie entwürdigend«, sagte Mr. Pebble. »Das ist alles andere als bewundernswert. Du, Spray, bist so ungefähr die wollüstigste Alte, der zu begegnen ich je das Pech hatte.«

»Du bestehst aus nichts weiter als aus endlosem Gequatsche«, sprühte Spray zurück. »Das ist alles, mehr ist von dir nicht übriggeblieben. Nicht«, fügte sie hinzu, »daß es mir was nützen würde, wenn noch was anderes übriggeblieben wäre.«

»Also wirklich«, widersprach Mr. Pebble, »ich sollte mir sowas nicht anhören müssen. Für mich ist das viel zu niveaulos. Die natürliche Elastizität meines Geistes versteift sich in deiner Gegenwart.«

»Vor fünfundzwanzig Jahren...« begann Spray. - Thorne Smith, Der Jungbrunnen. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1937)

Mann, alter (5)  Seine Furcht überwindend und sich daran erinnernd, daß seine Kinder auf ihr Abendessen warteten, hob er sein Beil und wollte gerade den größten der Büsche abschlagen, als er plötzlich eine dünne schrille Stimme hörte.

Tom ließ das Beil sinken und erkannte, daß da im Stechginster ein kleiner alter Mann saß, der nicht mehr als eineinhalb Fuß groß war. Sein Gesicht hatte die Farbe eines gelbbraunen Pilzes, seine Augen funkelten wie Diamanten in seinem zerknitterten Gesicht, und auf dem Kopf trug er eine rote Mütze. Sein Körper war klein, aber seine Glieder schienen zu einem Mann zu gehören, der viermal so groß sein mußte als er.

»Ho, ho«, sagte der Zwerg mit der roten Mütze. - (izg)

Mann, alter (6)  Benbow sah zu, wie Goodwin den alten Mann auf einen Stuhl setzte, wo er dann gehorsam mit der zögernd kriecherischen Gier eines Mannes saß, dem nur noch eine einzige Lust im Leben geblieben ist und den die Welt nur noch durch einen einzigen Sinn erreichen kann; denn er war blind sowohl als auch taub: ein gedrungener alter Mensch mit kahlem Schädel und einem runden, voll fleischigen, rosigen Gesicht, in dem die kataraktkranken Augen aussahen wie zwei Schleimklumpen. Benbow sah zu, wie er einen dreckigen Lappen aus der Tasche zog und in den Lappen einen fast farblosen Brocken spuckte, von etwas, das einmal Kautabak gewesen war, und den Lappen dann zusammenlegte und wieder in die Tasche steckte. Die Frau füllte ihm aus der Schüssel den Teller. Die anderen aßen bereits, schweigend und stetig, doch der alte Mann saß nur erst da, den Kopf über den Teller gebeugt, mit schwach zitterndem Bart. Er tastete mit schüchterner, tatteriger Hand nach dem Teller, fand ein kleines Stück Fleisch und fing an, daran zu saugen, bis die Frau zurückkam und ihm auf die Finger klopfte. Da legte er das Fleisch wieder auf den Teller, und Benbow sah zu, wie sie ihm das Essen auf dem Teller kleinschnitt, Fleisch, Brot und alles, und dann Sorghum darübergoß. Dann hörte Benbow auf hinzusehen. Als die Mahlzeit beendet war, führte Goodwin den alten Mann wieder hinaus. - William Faulkner, Die Freistatt. Zürich 1981 (detebe Klassiker 20 802, zuerst 1931)
 
  Greis Männer, alte
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