ärtyrerin

 EINE MÄRTYRERIN

ZEICHNUNG EINES UNBEKANNTEN MEISTERS

Inmitten von Flakons, durchwirkten Stoffen und wollüstigen Möbeln, von Marmorbildern, Gemälden, duftenden Gewändern, die in Falten prunkvoll schleifen,

In laulichem Gemach, wo, wie im Treibhaus, die Luft gefährlich ist und unheilvoll, wo Blumensträuße sterbend in gläsernen Särgen ihren letzten Seufzer hauchen,

Ergießt kopflos ein Leichnam, in stetem Fluten, auf das durchnäßte Kissen ein lebendig rotes Blut, daran das Linnen sich sattrinkt mit einer Wiese Gier.

Gleich den fahlen Gesichtern, die das Dunkel gebiert und die unsere Augen bannen, ruht das Haupt, von seiner düstren Mähne überhäuft und kostbaren Geschmeiden,

Auf dem Nachttisch wie eine Ranunkel; und gedankenleer bricht noch verschwommen und dämmerbleich ein Blick aus den verdrehten Augen.

Auf dem Bett gibt ungehemmt der nackte Rumpf sich gänzlich preis in der verborgnen Pracht und unheilvollen Schönheit, die ihm die Natur verliehen;

Rosig ein Strumpf, geziert mit goldnen Münzen, blieb an dem Bein als wie ein Souvenir; das Strumpfband, gleich einem heimlich glühenden Auge, schießt diamanten einen Blick.

Der sonderbare Anblick dieser Verlassenheit und eines großen schmachtenden Bildnisses, dessen Augen aufreizend sind wie seine Haltung, kündet von düstrer Leidenschaft,

Von schuldhafter Freude und seltsamen Festen voll höllischer Küsse, deren der Schwärm der bösen Engel sich freute, die in den Vorhangfalten schwebten;

Und doch, betrachtet man die elegante Magerkeit der Schulter mit dem schroffen Umriß, die etwas spitze Hüfte und die kecke Taille, wie ein Reptil gereizt sich windet,

Sie ist sehr jung noch! — Hatte wütend ihre Seele, hatten, vom Biß der Langeweile wund, ihre Sinne die lechzende Meute irrender, verlorener Lüste eingelassen?

Der Rachegierige, den du im Leben mit aller deiner Liebe nicht zu sättigen vermocht, hat er an deinem regungslosen und willfährigen Fleisch die unermeßliche Begier gestillt?

Gib Antwort, unkeuscher Leichnam! und an deinen steifen Flechten mit fieberwildem Arm dich reckend, sag mir, gräßliches Haupt, hat er auf deine kalten Zähne den letzten Scheidegruß gepreßt?

 - Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen (zuerst 1857). Übs. Friedhelm Kemp Frankfurt am Main 1966 (Fischer Tb. 737)

Märtyrerin (2)  
 

Märtyrer

 

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