Mädchen, neugieriges  »Seht den Hügel dort, an seinem Hange, verborgen vor den Augen der übrigen Bewohner, will ich die Tänzer für den Zauber vorbereiten. Vier Tänzer brauche ich, denn vier Gahe sind es, die um das Feuer tanzen. Der Große Schwarze Gahe des Ostens, der Große Blaue Gahe des Südens, der Große Gelbe Gahe des Westens und der Große Weiße Gahe des Nordens, sie alle sollen helfen, die Krankheit zu bannen. Auch Graukopf, der Spaßmacher, soll erscheinen. Drei oder vier verdiente Krieger sollen mit uns gehen und uns helfen, die Tänzer zu bemalen. Niemand darf uns dabei sehen, daher muß alles im Lager bleiben. Groß ist der Zauber, und niemand soll die Tänzer beim Namen nennen oder gar zeigen, daß er sie erkennt. Wohl sind es Sterbliche, denen wir in unserer Not das Kleid der Gahe anziehen, denen wir die bunten Erden auf die Haut streichen, aber was wir tun, bleibt dennoch gefährlich.«

Alle im Lager befolgten diesen Rat, nur ein kleines Mädchen konnte seine Neugierde nicht bezähmen und schlich sich an jene Stelle, von der der Mann gesprochen hatte. Dort sah sie, wie einer der Tänzer bemalt wurde. Niemand sah das Kind, doch als es Abend war und die Menschen sich um das große Feuer scharten, an dem die Gahe tanzen sollten, sprach jener Mann, der die Gahe kannte: »Ein Mädchen hat uns belauscht! Ich weiß nicht, welche Folgen dies haben wird, doch hatte ich alle zu Beginn gewarnt.« Dann sang er zu den Gahe und bat um Nachsicht. Lauschend blieb er unbeweglich stehen, als ob er jemand sprechen hörte. »Hört, die Gahe werden kommen und um das Feuer tanzen. Nur wenn wir das Mädchen unter dem Feuer vergraben, kann es gerettet werden!«

Kurz darauf erschienen die Gahe, nicht verkleidete Menschen, sondern jene Wesen aus den Bergen, die nicht zum Stamm der Chiricahua-Apachen gehörten. Den maskierten Tänzern bedeuteten sie, zu verschwinden. Dann begannen sie mit dem Zauber, den die Chiricahuas damals zum erstenmal sahen und der noch heute solch große Bedeutung hat. Da war der Große Gahe des Ostens, der schwarz war wie die Himmelsrichtung, zu der er gehörte, denn schwarz ist der Osten, ehe es dämmert. Als zweiter erschien der Große Gahe des Südens, dessen Farbe wie der Himmel war, wenn die Sonne am Mittag stillsteht und rastet. Dann kam der Große Gahe des Westens, dessen Farbe dem Sonnenuntergang entnommen ist, gelb und leuchtend wie die Wolken über der Wüste. Der Große Weiße Gahe des Nordens kam als vierter, denn weiß und schneebedeckt ist der Norden und kalt wie das weiße Licht des Mondes über den Bergen. Als letzter aber erschien Graukopf, der Spaßmacher der Gahe, der mächtiger war als die vier Gahe zusammen. Daher konnte er jeden vertreten und allen Ratschläge geben. Zuerst trat der Große Schwarze Gahe auf, tanzte mit den anderen drei ums Feuer und suchte nach dem Mädchen. Die vier trugen gleiche Kleidung und gleiche Masken, doch hatte jeder seine besondere Bedeutung. Aus den vier Himmelsrichtungen kamen sie zum Feuer, kehrten zurück in die Dunkelheit, um sodann wiederum einer hinter dem anderen dem Feuer zuzustreben. Viermal kamen sie aus Osten, viermal aus Süden, Westen und Norden. Alle trugen Schwerter in den Händen, auch der Spaßmacher hatte zwei. Aber der Große Schwarze Gahe des Ostens konnte das Mädchen nicht finden. In der nächsten Nacht versuchte der Große Blaue Gahe des Südens seine Kunst, aber auch er konnte das Mädchen unter dem Feuer nicht entdecken. In der dritten Nacht erschienen die Gahe wiederum, diesmal war der Gelbe Gahe des Westens an der Spitze. Überall im Lager suchten sie nach dem Mädchen, tanzten um das Feuer und beteten zu ihm. Nach jedem Tanz wühlte der Große Gelbe Gahe des Westens in der Asche, als ob er der Lösung ganz nahe sei, aber am Ende gab auch er auf. Als der Tag zu dämmern begann, waren die Gahe mit einemmal verschwunden.

Der Mann, der mit dem Zauber der Gahe begonnen hatte, versuchte mittlerweile die Gahe daran zu hindern, das Mädchen zu finden. Auch der Große Weiße Gahe des Nordens hatte nicht genügend Zauberkraft, die Versteckte zu entdecken. Doch als die vier Gäbe das viertemal aus Norden zum Feuer kamen, sprang plötzlich Graukopf, der Spaßmacher, zum Feuer, riß die brennenden Scheite auseinander und zog das Mädchen bei den Haaren aus dem Versteck. Graukopf hatte sich als mächtiger erwiesen als die vier Großen Gäbe. Mit ihren Schwertern zerstückelten sie die Unvorsichtige zur Strafe für ihre Neugierde. Dann waren sie lautlos aus dem Lager verschwunden, ehe noch jemand die Zeit gehabt hätte, sich nach ihnen umzudrehen. Niemand weiß, wohin die Gahe gehen; nur daß sie in den Bergen wohnen, ist gewiß. Ein paar Apachen wollten einst die Gahe verfolgen, als sie vom Feuertanz in ihre Berge zurückkehrten. Auf ihren schnellsten Pferden setzten die Krieger den geheimnisvollen Besuchern nach, konnten sie aber nicht einholen. Als die Gahe an einer Felswand angekommen waren, stießen sie ihren schrillen Ruf gegen die Verfolger aus und waren gleich darauf im glatten Stein verschwunden.  - Märchen aus Mexiko. Hg. Felix Karlinger und Maria Antonia Espadinha. Düsseldorf u. Köln 1991 (Diederichs, Die Märchen der Weltliteratur)

Mädchen Neugier, weibliche

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