Mädchen, japanisches  Sie war mit 15 Jahren in die Vereinigten Staaten gekommen, hatte fast unmittelbar darauf einen Newyorker geheiratet und Schneiderin gelernt. Bald hatte sie sich von dem Newyorker wieder getrennt und angefangen, jede Woche einmal einen signist, einen astrologischen Ratgeber, zu konsultieren, um zu erfahren, wie sie ihr Leben einrichten sollte.

Der astrologische Ratgeber hatte ihr nahegelegt, daß es besser für sie wäre, im Westen zu wohnen, da aufgrund der Konstellation einiger Gestirne der Osten nicht günstig für sie sei. Deshalb war das Mädchen von New York nach Los Angeles umgezogen; hier fand sie eine Wohnung in der downtown und wurde Modeschöpferin.

Telefonisch konsultierte sie weiterhin jede Woche ihren astrologischen Ratgeber in New York, der ihr eines Tages sagte, es wäre günstiger für sie, in einer hügeligen Gegend zu wohnen. Da zog das Mädchen an den Nordrand der Stadt, in eine hochgelegene Gegend, nicht weit von der Wüste.

Von morgens bis abends nähte sie Kleider, zusammen mit einer philippinischen Studentin, die ein Stockwerk tiefer wohnte. Ihre Wohnung bestand aus einem einzigen großen, langgestreckten Raum ohne Unterteilungen: an einer Seite eine Stange voller Kleider von Wand zu Wand, viele Schneiderpuppen, überall Faden und Stoff, zwei Feldbetten mit orientalischen Überdecken, ein Schminktischchen, ein Tisch mit vier Plastikstühlen, ein Kühlschrank und ein Gasherd. Auf einer Säule aus falschem Marmor ein stets eingeschalteter Fernseher.

Am Spätnachmittag, gegen halb sechs, setzte sich das Mädchen täglich an das Schminktischchen und begann, sich vor einem mit Bambusrohr gerahmten Spiegel zu schminken, wobei sie zur Entspannung Marihuana rauchte. Gewöhnlich entschied sie sich für eine traditionelle Schminke nach japanischer Manier: das ganze Gesicht weiß, Lippen und Augenbrauen mit feinen Strichen nachgezogen; um sich so zu schminken, brauchte sie ungefähr anderthalb Stunden, manchmal mißlang ihr die Zeichnung und sie mußte die ganze Arbeit noch einmal von vorne anfangen. In der Kleidung entschied sie sich meist für eine altmodische europäische Manier, mit Schleierhütchen.

Jeden Abend ging sie in ein Aufnahmestudio, wo sie hinter einer Glaswand den Aufnahmeproben irgendeines berühmten Sängers beiwohnte. Tagsüber telefonierte sie ständig, um sich einige »pass« und somit Zutritt zu irgendwelchen Aufnahmestudios zu verschaffen. Am Telefon stellte sie sich unter dem französischen Namen vor, den sie angenommen hatte, seit sie Modeschöpf erin geworden war.

An einer Wand hatte sie einen Kalender hängen, in den sie die verschiedenen Aufnahmetermine eintrug, für die sie sich schon einen »pass« verschafft hatte. Fast alle Abende hatte sie schon einen Monat im voraus gebucht; in die Kästchen auf dem Kalender schrieb sie die Namen der Sänger.

Nach den Aufnahmeproben ging sie mit den Managern der Schallplattenfirmen, den Modeschöpfern und den Werbeleuten, die ihr den »pass« besorgt hatten, zum Abendessen. Eines Abends sah ich sie in einem Restaurant und hörte, wie sie in ihrem Einwandererenglisch, das die anderen mit einem Kopfnicken billigten, als wäre es eine gut gemachte Schulaufgabe, von ihrer Arbeit redete.

Jeden Donnerstagabend gingen einige von diesen Modeschöpfern und Werbeleuten zum Rollschuhlaufen in die Gegend von Cahuenga, glaube ich, und auch das japanische Mädchen ging Donnerstagabend an diesen entlegenen Ort, wo sie einmal die Filmschauspielerin Shelley Duval gesehen hatte.

Von den Fenstern ihrer Wohnung aus sah man nachts die Lichter der Autos, die den äußeren freeway zu Füßen der Hügel entlangfuhren, während sich weiter weg eine grenzenlose Stadt ausdehnte, von der das Mädchen nur ein paar Straßen kannte genau wie ich und wie alle.

In Los Angeles lernte sie durch ihre Arbeit einige Italiener kennen; eine Modejournalistin, eine Modeschöpferin und einen jungen Hemdenfabrikanten, die in der Dependance des Mar-mont Hotels auf dem Sunset Boulevard wohnten. Und als das Mädchen seine neuen italienischen Freunde besuchen ging, sah es eines Sonntagmorgens den Filmschauspieler Anthony Perkins auf dem Rasen des Hotels in der Sonne liegen.

Im Marmont Hotel versuchte ihr der junge Hemdenfabrikant den Hof zu machen; aber Abende lang schien es, als bemerkte das japanische Mädchen gar nicht, daß er etwas sagte, denn sie redete nur mit der italienischen Modeschöpferin und der Journalistin.

Die drei Frauen unterhielten sich oft über die berühmten Filmschauspieler, die sie irgendwo gesehen hatten, ohne sich jedoch an die Titel der Filme erinnern zu können, in denen sie mitgespielt hatten.

Da sprang dann der junge Hemdenfabrikant ein, der sich an alle Filmtitel, Regisseure und auch an alle Daten erinnerte; aber das japanische Mädchen schien ihn nicht zu hören, und die beiden anderen Frauen waren an diesen Dingen wenig interessiert.

Da wurde er zuerst niedergeschlagen, weil ihn die Japanerin nie anschaute, dann fand er sich damit ab und versuchte nicht einmal mehr, an den Unterhaltungen teilzunehmen.

Im Sommer darauf kam das Mädchen nach Mailand und brachte einige ihrer Modelle mit. Ihre Modelle gefielen einem großen Modefabrikanten, der zwanzig Musterexemplare bei ihr bestellte, die jedoch in Italien angefertigt werden mußten.

Das Mädchen rief ihren astrologischen Ratgeber in New York an, der ihr riet, eine Wohnung zu suchen, die mindestens zehn Meilen vom Stadtrand entfernt war. Nach langem Suchen und mit der Hilfe der italienischen Modeschöpferin, die sie in Los Angeles kennengelernt hatte, fand sie eine Wohnung in ßollate, genau zehn Meilen vom westlichen Stadtrand entfernt, in einem großen Block mit Neubauwohnungen, der verloren in der Landschaft stand.

Wenig später gab die italienische Modeschöpferin bei sich zu Hause in Mailand ein Fest, zu dem sie auch das japanische Mädchen und den jungen Hemdenfabrikanten einlud. Auf dem Fest rauchte das Mädchen Marihuana und trank den ganzen Abend, so daß sie am Ende zu ihrem Auto begleitet werden mußte.

Der junge Fabrikant, der ihr immer noch den Hof zu machen versuchte, erbot sich, sie zu begleiten.

Dann lotste er sie mit Handzeichen im Rückwärtsgang aus der Via Bigli in die Via Manzoni, wo sie dann losfahren konnte.

Und sie fuhr los und überfuhr ihn dabei, als ob sie seine Anwesenheit überhaupt nicht bemerkt hätte. - (gcel)

 

Mädchen Japanerin

 

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