Mädchen, gefährliches   Ich träumte in dieser vergangenen Nacht von einem schönen, gefährlichen Wesen, halb Mädchen, halb Schlange, das mordlustig war. Darum nahm man ihm alle wichtigen Organe, mit denen es Unheil stiften konnte. Man nahm ihm also die Augen, die Zunge, das Herz und dergleichen mehr, um es ganz unschädlich zu machen. Da sie so schön war, wollte man sie uns zur Augenweide erhalten, indem man sie so geschickt mumifizierte, dass sie wie lebend wirkte. Als dies geschehen war, zeigte sich zu unserem Entsetzen, dass das Wesen ohne Zunge sprach, ohne Augen sah und ohne Herz lebte — ohne Blut von grosser Kraft war und ohne Gehirn sichtbar Pläne schmiedete. Viel lebendiger, glühender, intelligenter war sie geworden, besessen von Hass und Rachegelüsten — erfüllt von einer Kraft und Wut, die unmenschlich waren. Was uns betraf, so konnten wir uns nur durch Flucht vor der völligen Vernichtung durch dieses schreckliche und bewunderungswürdige Wesen entziehen. Noch beim Erwachen war ich von dieser eindeutigen Bewunderung für sie erfüllt. Ich bedauerte es, dass der Traum aufhörte, sonst hätte ich wahrscheinlich erfahren, auf welche Weise das Wesen mich vernichtet hätte. Oder war das Wesen ich selbst?   - Unica Zürn, Notizen einer Blutarmen. In: U. Z., Das Weiße mit dem roten Punkt. Texte und Zeichnungen. Frankfurt am Main - Berlin 1988
 
 

Mädchen

 

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