Machtübernahme  Eine gute Fünfzigerin, Fleischhauereibesitzerin und eingeschriebenes Mitglied des Zuchtverbandes für Rottweiler, sowie der Oberkellner Leo Lipka, Großmeister im Trabrennfahren, Händler in Reit-, Wagen- und Rennpferden, Raubtieren und Exoten sowie sämtlichen Traberutensilien, sind bereits gebissen und zu den Barmherzigen Brüdern in Quarantäne gebracht worden. Mehrere Schwärme der jeden Morgen über die Donau her einfliegenden Raben-, Saat- und Nebelkrähen halten den Luftraum zwischen Donau und Donaukanal scharf unter Kontrolle. Ihnen haben sich Scharen von Dohlen, Elstern, vereinzelt auch Häher angeschlossen. Schnarr-, Quarr- und Kiu-Laute, sowie gezieltes Schnabelstoßen, vertreiben einen jeden, der ihnen nahe kommt. Ein bekannter Wiener Bildhauer aus der Böcklinstraße gibt an, er habe eine, ihm vor kurzem entflogene, ziemlich groß gewachsene Rabenkrähe als Rädelsführer ausmachen können. Das Tier habe aber jede Vertraulichkeit abgelegt und sei, auch auf mehrmaliges Rufen bei seinem Namen hin, nicht mehr ans gewohnte Fensterbrett zurückgekommen, folglich müsse er jede Verantwortung ablehnen.

Was die Gruppen der Wild- und Zierenten betrifft, so haben sie die Herrschaft über sämtliche Parkgewässer an sich gerissen und dulden es nicht mehr, daß diese von Brotresten und minderwertigem Saatgut verunreinigt werden. Die weißen und schwarzen Schwäne finden nach wie vor ihr Auslangen.  - Barbara Frischmuth, Die unbekannte Hand. In: (schrec)

Machtübernahme (2)  Ratten und Fliegen beherrschten die Stadt. Frech und fett tummelten sich die Ratten auf den Straßen. Aber noch ekelerregender waren die Fliegen. Große, grünschillernde, wie man sie nie gesehen hatte. Klumpenweise wälzten sie sich auf dem Pflaster, saßen an den Mauerresten sich begattend übereinander und wärmten sich müde und satt an den Splittern der Fensterscheiben. Als sie schon nicht mehr fliegen konnten, krochen sie durch die kleinsten Ritzen hinter uns her, besudelten alles, und ihr Rascheln und Brummen war das erste, was wir beim Aufwachen hörten. Dies hörte erst später im Oktober auf.  - Hans Erich Nossack, Der Untergang. Frankfurt am Main 1987 (entst. 1943)

Machtübernahme (3)  Der eigentümliche Sonderbereich, den der Mensch bewohnt und wo er mit seinen Gedanken exerziert, fällt unter Meskalineinfluß auseinander. Er hat seine Gedanken nicht mehr. Er hat nicht mehr den Eindruck von Macht über seine Gedanken. Und dieser Eindruck ist richtig. Sein Wille hält sie nicht mehr in seiner Gewalt. Umkehrung der Machtverhältnisse.

Der Schiedsrichter »Ich«, der gewohnte Schiedsrichter und Leiter des Spiels und der Ideen, er, der entscheidet und ordnet, ist ohne Kraft. Jetzt sind es die Ideen, die Bilder, die Impulse, die an der Macht sind, die über ihn verfügen, die ihn modifizieren, und zwar augenblicklich, gleich bei ihrem manchmal zufälligen Auftreten. Er ist ihnen »ausgesetzt«. Er ist durch sie hypnotisiert, fasziniert. Zum Opfer geworden. Sie fallen über ihn her und machen, daß er Glauben an sie hat, einen lächerlichen Glauben, gegen den er nicht viel vermag. Eine Idee, die man in diesen Stunden gehabt und an die man geglaubt hat, kann man später nicht mehr überprüfen, man kann sie nicht mehr umbilden, nicht mehr umdenken. Definitiv. Die Ehe ist geschlossen.

Die Wucht der Bilder, ihre Überzeugungskraft ist so groß, verglichen mit der Schwäche des Willens, der früher das Steuer in der Hand hatte, daß es keinen Kampf mehr gibt. Die Idee und ihre bildliche Darstellung haben im voraus den Sieg über dich.  - Henri Michaux, Turbulenz im Unendlichen. Die Wirkungen des Meskalins. Frankfurt am Main 1971

 

Macht

 

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Machtwechsel