Machtgier  Karathis drang ohne Aufenthalt bis zum Dom des Soliman vor, und ohne sich im geringsten am Stöhnen des Propheten zu stören, nahm sie unerschrocken die Deckel von den Urnen und riß die Talismane an sich. Dann erteilte sie mit einer Stimme, lauter, als man es je an dieser Stätte gehört hatte, den Diven Befehle, ließ sich die verborgensten Schätze zeigen und drang in die geheimsten Gewölbe ein, die selbst der Afrit noch nicht gesehen hatte. Sie befuhr die steilsten Abstürze, die nur Eblis und dessen mächtigsten Günstlingen bekannt waren, und kam so bis ins Erdinnere, wo der Sansar bläst, der eisige Wind des Todes. Nichts erschreckte ihr furchtloses Herz, wenngleich auch sie an all den Schemen, die die Rechte aufs Herz gekrampft hielten, eine Kleinigkeit bemerkte, die ihr nicht recht gefiel.

Als sie gerade aus einem der Abgründe auffuhr, zeigte sich Eblis ihren Blicken. Doch obwohl er in seiner ganzen höllischen Majestät dastand, die Prinzessin verlor keinen Augenblick die Haltung und machte dem Herrscher sogar aufs höflichste ihre Aufwartung.

«Prinzessin», gab ihr die glänzende Majestät zurück, «der Euch wegen Eurer Kenntnisse und Verbrechen ein hervorragender Rang in meinem Reiche gebührt, Ihr tut gut daran, daß Ihr die Muße nützt, die Euch noch bleibet, denn jene Flammen und Qualen, die Eures Herzens warten, werden Euch bald vollauf zu schaffen machen.» Kaum gesagt, war der Mächtige auch schon hinter den Vorhängen seines Wohngewölbes verschwunden. Karathis hielt einen Augenblick überrascht an. Aber entschlossen, den Rat des Eblis aufs weitgehendste zu befolgen, versammelte sie alle Chöre der Genien und die Diven um sich und ließ sich deren Ehrerbietung darbringen. Dann zog sie im Triumph durch den Rauch der Wohlgerüche und unter dem Beifall der bösen Geister, die sie größtenteils schon von früher her kannte, durch den unterirdischen Palast. Sie war gerade daran, einen der Solimane zu entthronen, um selbst dessen Platz einzunehmen, als eine Stimme aus dem Abgrund des Todes herauf verkündete: «Alles ist erfüllt.» Sofort überzog sich die hochmütige Stirn der furchtlosen Prinzessin mit den Falten der Seelenqual, sie stieß einen gellen Schmerzensschrei aus und krampfte die Rechte schmerzlich auf ihre Brust, um sie nie wieder von dort wegzuziehen, denn ihr Herz war ein Gefäß geworden für das Feuer der ewigen Pein.

Jetzt vergaß sie alle ihre ehrgeizigen Pläne und ihren Durst zu wissen, was Sterblichen immer verborgen bleiben soll. Sie stieß die Opfer, die die Genien ihr zu Füßen dargebracht hatten, um und verfluchte die Stunde ihrer Geburt und den Schoß, der sie gebar. Dann flackerte sie auf in einem reißenden Wirbel, so schnell, daß sie nicht mehr zu erkennen war, und von da ab hörte sie nicht mehr auf, sich unablässig im Wirbel zu drehen bis in alle Ewigkeit.   - William Beckford, Vathek. Stuttgart 1983 (Bibliothek von Babel, Bd. 3., Hg. J. L. Borges)

Gier Macht

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