Macht, zugeschriebene    Die mögliche Machtausübung, gleich ob die des Kaisers oder die des mächtigen Sejan, wird durch die Klientel, die zahllosen Abhängigen, Feinde und Freunde, die alle mehr Zeit besitzen als die Mächtigen, vorweggenommen. Eine solche »zugeschriebene Macht« läßt sich nicht zusammenhalten wie Häuser, Sklaven, Geld. Der Präfekt Sejan, kampferfahren, entschlußfreudig, enger Freund des Tiberius seit Jahren, hatte bis dahin keine Anstalten gemacht, Cäsar zu stürzen. Er verfügte jedoch über die Mittel, so etwas zu tun; er befehligte Wachkontingente, die den Cäsar persönlich nicht gesehen hatten. Man konnte diesen Männern eine andere Person als den Cäsar bezeichnen, den Cäsar dagegen als Attentäter verhaften und umbringen lassen. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß Sejan so etwas beabsichtigte. Es genügte, daß er wissen mußte, daß der Cäsar annehmen konnte, daß er so etwas könnte.

In diese Richtung bewegten sich die Erwägungen des Tiberius, der langsam dachte, dann schnell zu handeln pflegte, ehe sich seine Gedanken wieder verwirrten. So ließ er Sejan verhaften und rasch töten. Sein Vermögen wurde eingezogen, die Klientel verbannt.  

Über die beiden Kinder, der Knabe minderjährig, die Tochter noch nicht mannbar, d.h. noch nicht elf Jahre alt, hatte der Kaiser keine Bestimmung getroffen. Er hatte sich auf die Frage, was mit ihnen geschehen solle, abgewendet. So waren sie verurteilt.

Dem Henker aber war von der Rechtsordnung, die die ganze Zeit über inmitten der Gewaltverhältnisse überwinterte und diejenigen bedrohte, die ohne direkten, genauen Befehl des Regenten gegen sie verstießen, verboten, junge Frauen zu töten, wenn sie noch nie einen Mann kennengelernt hatten. So mußte er »diesem Kind erst beiwohnen, ehe er es-enthauptete«. Der Sohn des Sejan lag zu diesem Zeitpunkt schon im Sand, der das Blut aufzehrt.

Diese Nacherzählung durch Tacitus entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Sie dient der Erziehung der Nachwelt, die durch erschütternde Tyrannengeschichten an die Kategorie des gerechten Lebens erinnert werden soll. Tatsächlich tauschte der Henker die Tochter des Sejan gegen eine syrische Sklavin aus, die er in den Sand streckte; die Tochter des Sejan dagegen nahm er in sein Haus auf, ihre Enkelin wurde Christin, eine entfernte Verwandte lebte noch zur Zeit des Kaisers Konstantin. Durch seine Täuschungshandlung vermied der Henker einen schwerwiegenden Mißbrauch.  - (klu)

Macht

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