acht  Der Löwe muß sich nicht verwandeln, um seine Beute zu erlangen; er erlangt sie als er selbst. Er gibt sich, bevor er auszieht, durch Brüllen zu erkennen; er, der einzige, kann seine Absicht preisgeben, indem er sie laut und jedem Geschöpf hörbar ankündigt. Es ist darin ein unwandelbarer Eigensinn enthalten, der nie zu etwas anderem wird und dadurch nur noch größeren Schrecken verbreitet. Macht in ihrem Kern und auf ihrem Gipfel verachtet Verwandlung. Sie tut sich selbst Genüge; sie will nur sich. In dieser Form ist sie dem Menschen bemerkenswert erschienen; absolut und unverantwortlich, ist sie nichts und niemand anderem zuliebe da. Ihren höchsten Glanz hatte sie für ihn, wann immer sie in dieser Form auftrat...   - (cane)

Macht (2) »Ich will Ihnen etwas sagen, guter Mann«, versetzte ich, »seien Sie lieber vorsichtig; mein Vater liegt an meiner Brust verborgen, und wenn Sie mir auch nur ein Haar krümmen, rufe ich ihn hervor, damit er mir hilft mit seiner gespaltenen Zunge

»Was soll das heißen, du Balg? Meiner Lebzeit hab‘ ich noch kein solches Gefasel gehört. Dein Vater! Sag dem Kerl, wenn er sich hier blicken läßt, werde ich‘s ihm besorgen, so wie jetzt dir. Da hast du — Kind Gottes, was ist denn das? O Jesulein, was ist denn mit dem Jungen?«

Ich hatte eine Bewegung gemacht, welche die Viper verstand, und nun kam sie halbwegs aus ihrem Versteck an meiner Brust hervor, reckte den Kopf auf die Höhe meines Gesichts und funkelte meinen Gegner mit bösen Augen an.

Wie vom Blitz getroffen stand der Mann da, und die Kelle, mit der er mich bedroht hatte, hing mitsamt der Hand in der Luft; eine gelbliche Blässe überzog sein Gesicht, außer an der Stelle, wo er die bereits beschriebene Narbe trug, die sich jetzt flammendrot abhob. Geraume Weile stand er so da, bis ihm schließlich die Kelle aus der Hand fiel. - George Borrow, Lavengro der Zigeuner-Gentleman (Zürich 1987, zuerst 1851)

Macht (3)

Kubin: Macht

- Alfred Kubin

Macht (4)  »In unserer Kindheit haben wir, ohne sie wirklich zu erkennen, eine Macht zu spüren bekommen, die man heute als gänzlich kriminell bezeichnen könnte. Eine Macht, über die man in paradoxer Weise auch sagen könnte, daß sie heil und bei guter Gesundheit war; wohlverstanden: immer im Sinne von verbrecherisch und verglichen mit der schizophrenen Macht von heute. Die Kriminalität dieser Macht bestand vorwiegend darin, keine andere als die eigene zuzulassen, sich der eigenen zu rühmen und sie ästhetisch zu verbrämen... Unnötig zu sagen, daß ich die Schizophrenie der guten Gesundheit vorziehe; und ich glaube, Sie ebenfalls. Aber man muß sich dieser Schizophrenie bewußt sein, um bestimmte Dinge zu erklären, die sonst unerklärlich sind. So wie man sich der Dummheit, der reinsten Dummheit bewußt sein muß, die sich bisweilen in sie hineindrängt und sie überlagert... Es gibt eine sichtbare, namentlich benennbare und aufzählbare Macht; und es gibt eine zweite ohne Zahl, ohne Namen, die unter Wasser schwimmt. Die sichtbare bekämpft die unter Wasser und das vor allem in den Momenten, in denen sie sich erlaubt, kräftig aufzutauchen; das heißt gewalttätig und blutig. Aber entscheidend ist, daß die sichtbare Macht sie braucht... Ich hoffe, Sie verzeihen mir dieses philosophische Kleingeld. Ich habe keine andere Philosophie, was die Macht betrifft.«

»Man könnte also den Verdacht haben, es gäbe eine geheime Verfassung, deren erster Artikel lautet: Die Sicherheit der Macht gründet sich auf die Unsicherheit der Bürger.«

»Sämtlicher Bürger, um genau zu sein: auch derer, die Unsicherheit verbreiten und sich selber in Sicherheit wiegen ... Das ist die Dummheit, von der ich sprach.«   - Leonardo Sciascia: Der Ritter und der Tod. Ein einfacher Fall. Zwei Kriminalromane. Berlin 1996 

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