yriker Wie aus dem Nichts leuchtete am schmiedeeisernen Gitter ein Flämmchen auf und näherte sich der Veranda. Die Leute an den Tischen erhoben sich glotzend und sahen zusammen mit dem Licht ein weißes Gespenst auf das Restaurant zuwandeln. Als es das Grünspalier erreicht hatte, stand alles stocksteif bei den Tischen, Sterletstücke an den Gabeln und mit quellenden Augen. Der Portier, der in diesem Moment durch die Garderobentür den Hof betreten hatte, um eine Zigarette zu rauchen, trat sie aus und wollte auf das Gespenst zugehen mit der offenkundigen Absicht, ihm den Zutritt zum Restaurant zu versagen, doch er tat es nicht, blieb stehen und grinste dümmlich.
Ungehindert betrat das Gespenst durch die Öffnung im Spalier die Veranda. Nunmehr sahen alle, daß es keineswegs ein Gespenst war, sondern der allseits bekannte Lyriker Iwan Nikolajewitsch Besdomny.
Er war barfuß, trug eine zerlumpte weißliche Russenbluse, an der vorn mit Sicherheitsnadeln die Papierikone eines unbekannten Heiligen befestigt war, und weißgestreifte Unterhosen. In der Hand hielt er eine brennende Hochzeitskerze. Auf seiner rechten Wange sah man eine frische Schürfwunde. Es ist schwer, das Schweigen auf der Veranda zu schildern. Einem Kellner floß das Bier aus dem schräggehaltenen Glas auf den Fußboden. Der Lyriker hob die Kerze hoch und sagte laut:
»Guten Abend, Freunde!« Dann blickte er unter den nächsten Tisch und rief wehmütig: »Nein, hier ist er nicht!«
Zwei Stimmen wurden laut. Ein Baß sagte erbarmungslos:
»Der ist fertig. Delirium tremens.«
Die zweite war eine Frauenstimme, die erschrocken rief: »Wie konnte die Miliz
ihn in diesem Aufzug durch die Straßen laufen lassen?« - (
meist
)
Lyriker (2) »Ist dort die Miliz?«
schrie Iwan in den Hörer. »Miliz, ja? Genosse Diensthabender, sorgen Sie dafür,
daß sofort fünf Motorräder mit Maschinengewehren losfahren, um den ausländischen
Konsultanten festzunehmen. Was? Kommen Sie vorbei und holen Sie mich ab, ich
fahre selber mit. . . Hier spricht der Lyriker Besdomny aus dem Irrenhaus
. . . Wie ist Ihre Adresse?« fragte er flüsternd den Arzt, wobei er die Hand
über die Muschel hielt, dann schrie er wieder in den Hörer: »Hören Sie? Hallo!
Schweinerei!« brüllte er plötzlich und warf den Hörer an die Wand. Dann wandte
er sich dem Arzt zu, reichte ihm die Hand, sagte trocken »Auf Wiedersehen!«
und wollte gehen. - (
meist
)
Lyriker (3) Welchen
Wesens sind diese Lyriker psychologisch, soziologisch, als Phänomen? Zunächst
entgegen der allgemeinen Auffassung, sie sind keine Träumer, die anderen dürfen
träumen, djese sind Verwerter von Träumen, auch von Träumen müssen sie sich
auf Worte bringen lassen. Sie sind auch eigentlich keine geistigen Menschen,
keine Ästheten, sie machen ja Kunst, das heißt sie brauchen ein hartes, massives
Gehirn, ein Gehirn mit Eckzähnen,
das die Widerstände, auch die eigenen, zermalmt. Sie sind Kleinbürger
mit einem besonderen, halb aus Vulkanismus und halb aus Apathie geborenen Drang.
Innerhalb des Gesellschaftlichen sind sie völlig uninteressant - Tasso in Ferrara
- damit ist es vorbei, keine Leonoren mehr, keine Lorbeerkränze, die die Stirne
wechseln. Sie sind aber auch keine Himmelstürmer, keine Titaniden, sie sind
meistens recht still, innerlich still, sie dürfen ja auch nicht alles gleich
fertigmachen wollen, man muß die Themen weiter in sich tragen, jahrelang, man
muß schweigen können. - Gottfried Benn, Probleme der Lyrik
(1951), in: G.B., Essays, Reden, Vorträge. Wiesbaden 1965
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