öwenjungfrau
Mit keinem Wort wird bei Homer die Weisheit angedeutet, mit der Oidipus
die Herrschaft über Theben nach der Ermordung des Laios in der bekanntesten
Erzählung erringen mußte: als wären die Kadmeer nie bedrängt gewesen vom Ungeheuer
des nahen Phikion-Berges, von der Phix, oder, wie der Name deutlicher hieß,
von der 'Sphinx', der »Würgerin«! War Oidipus
mit den geraubten Pferden oder Maultieren des Laios zu seinem Pflegevater Polybos
zurückgekehrt, wie der späte Erzähler der alten Geschichte von seinem Auszug
nach Pferderaub wollte, hatte er mit der Königin nicht sogleich auch das Königreich
in seinen Besitz genommen, so mußte er später nach Theben ziehen, um die Stadt
von der Sphinx zu befreien. Nach dem Tode des Laios herrschte da Kreon, der
Bruder der Jokaste. Er und die Alten von Theben waren in großer Sorge, seitdem
die geflügelte Löwin oder Hündin mit dem Kopf einer Jungfrau in die Geschicke
der Stadt eingriff.
Es hieß auch,wie gesagt, daß diese Plage schon bei Lebzeiten des Laios Theben heimsuchte. Hera hätte die Sphinx aus Aithiopien gegen die Kadineer geschickt, weil sie die Leidenschaft des Königs für Chrysippos duldeten. Auch Dionysos hätte die reißende Löwenjungfrau gegen seine Mutterstadt schicken können, die ihn nicht verehren wollte. Dies scheint sogar Euripides behauptet zu haben, der sonst ausspricht, was den Leidenden selbst erscheinen mußte: die Unterwelt hatte die Sphinx gegen die Thebaner heraufgesandt. Zu Thebens Verderben hatte die Mutter so mancher Ungeheuer, die Schlangengöttin Echidna, sie geboren, nachdem sie sich mit dem eigenen Sohne, dem Hunde Orthos, gepaart. Auf dem Berg, der nach ihr Phikion hieß, hatte die Sphinx ihren Sitz, wenn sie sich nicht auf einer Säule auf dem Marktplatz der Kadmeer niederließ, urn ihre Opfer auszuwählen. In solcher Haltung auf der Säule, doch auch auf dem Berge, zeigen sie uns die Vasenbilder. Man sieht sie Jünglinge rauben und erwürgen, und sah sie so dargestellt am Thron des Zeus, dem Werk des Pheidias. Sie entraffte, nach einer alten Erzählung, Haimon, den schönsten und zartesten Jüngling von Theben, den Sohn des Kreon. Darauf ließ dieser verkünden: Jokaste und das Königreich gehöre dem, der die Sphinx besiegte.
Ursprünglich war es wohl so, daß der Held, der sie töten wollte, auf den Berg Phikion gegen sie ziehen mußte. So zeigt eine Vase den Oidipus: zum Schlag mit der Keule ausholend, nicht über ein Rätsel nachsinnend, der Löwenjungfrau gegenüber. Nach der bekannteren Erzählung versammelten sich die Thebaner täglich, um über das Rätsel nachzusinnen, das die Sphinx ihnen aufgab. Und wenn sie es nicht lösen konnten, entraffte sie immer einen der ihrigen. Ihr Rätsel hatte sie von den Musen, doch wurde sie dadurch eher den Sirenen als den Musen selbst ähnlich: keineswegs von Anfang an die »weise Jungfrau«, vielmehr die Verschlagene, die ihre einzige List gelernt hat. Auf einem geschnittenen Stein aus der besten klassischen Zeit sieht man sie, wie sie ihre Weisheit aus einer Buchrolle entnimmt oder hersagt. Sie sang wie ein Orakel das Rätsel: »Ein Zweifüßiges gibt es auf Erden und ein Vierfüßiges mit dem gleichen Wort gerufen, und auch dreifüßig. Die Gestalt ändert es allein von allen Lebewesen, die sich auf Erden, in der Luft und im Meere bewegen. Schreitet es, sich auf die meisten Füße stützend, so ist die Schnelle seiner Glieder am geringsten.«
Stolz mag die Sphinx auf das Rätsel gewesen sein. -
(kere)
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