ösung  Wie Ödipus das Rätsel löste, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einige behaupten, er sei aus Zufall, das heißt aus purer Verlegenheit darauf gekommen. Als er das Rätsel aus dem Mädchenmund gehört, sei ihm das Wort ›Mensch‹ entfahren, wie einer aufstöhnt ›Mensch Grieche, was für eine Frage‹, den angstvollen Blick auf die Tatzen der Sphinx gerichtet. Als er das Wort ›Mensch‹ ausgesprochen, habe er bemerkt, wie die Sphinx zusammenzuckte. Was ihm in seiner Verlorenheit als Stoßseufzer hochkam, sei die Lösung gewesen. - Hugo Loetscher, Die Papiere des Immunen.Zürich 1986

Lösung (2)  Zuhause angekommen, brach ich auf meinem Bett zusammen und sank in einen tiefen Schlaf, in dem ich die Rätsel von Zeit und Raum und Kausalität löste. Es schien unglaublich einfach, aber so bald ich die Augen öffnete, war alles vergessen. Was blieb, war der Geschmack von etwas Jenseitigem, Wunderbarem. Im Traum gab ich meiner philosophischen Entdeckung einen Namen, der Lateinisch, Hebräisch, Aramäisch oder eine Kombination aller drei Sprachen gewesen sein mag. Ich erinnerte mich, gesagt zu haben: »Sein ist nichts als . ..« und dann kam das Wort, das alle Fragen beantwortete. - Isaac Bashevis Singer, Ein Tag in Coney Island. In: I.B.S., Der Kabbalist vom East Broadway. München 1978 (zuerst 1972)

Lösung (3)  A: Die Schlußfolgerung von Wichtigkeit ist nur eine Frage der Frage.

B: Die Frage ist, ob die Wichtigkeit der Schlußfolgerung wichtig ist.

A: Es gibt also keine Lösung.

B: Das ist eine wichtige Lösung.

A: Ach! nur manchmal kommt man der Vollkommenheit nahe [...]  
Dennoch wissen wir, mein Lieber, daß es keine Dinge gibt, die vollkommen sind, außer jenen, die durch ihre Fähigkeit zur Überschreitung unvollkommen bleiben.

B: Na bitte, damit haben Sie die Lösung der Lösungen gefunden!  - Raoul Hausmann, nach: Adelheid Koch: Ich bin immerhin der größte Experimentator Österreichs. Raoul Hausmann - Dada und Neodada. Salzburg 1994

Lösung (4)  Nach einigen zweitrangigen Ereignissen und nachdem mehrere falsche Fährten, die die Schuld Madame Jarriers, Madame Zeitgebers, des Malers, des kleinen Hirtenmädchens und eines der Organisatoren des Kostümfestes nahelegten, in Betracht gezogen und wieder verworfen worden waren, wird endlich die perverse und polymorphe Lösung dieses gefälligen Rätsels gefunden, die es Inspektor Waldemar im Verlauf einer dieser Zusammenkünfte am Ort des Verbrechens erlaubt, in GegenwartL aller noch lebendig gebliebenen Akteure, ohne die ein Kriminalroman kein Kriminalroman wäre, die ganze Angelegenheit glänzend zu rekonstruieren: Selbstverständlich sind alle drei schuldig und jeder von ihnen hat ein anderes Motiv.

Madame Quaston - deren Tochter der alte Lüstling nachgestellt hatte und die, um ihre Ehre zu retten, ins Wasser hatte gehen müssen - gab sich dem Diamantenhändler gegenüber als Hellseherin aus und sie versuchte, ihm die Zukunft aus den Handlinien zu lesen: Dabei hat sie die Gelegenheit genutzt, ihn mit ihrer Nadel zu stechen, die sie mit diesem Gift präpariert hatte, von dem sie wusste, dass es eine gewisse Zeit brauchte, bis es wirkte. Dann hat sie die Nadel im Blumentopf versteckt und die Tarantel, die bis dahin im Kork ihres Senffrüchteglases verborgen war, in das Pult gesetzt: Sie wusste, dass der Stich der Tarantel ähnlich wirkte wie ihr Gift, und obwohl sie sich der Tatsache durchaus bewusst war, dass dieser Trick schließlich aufgedeckt werden würde, dachte sie recht naiv, er würde die Untersuchungsbeamten lange genug in die Irre führen, damit sie ungestraft die Flucht ergreifen könne.

Mickey Malleville hingegen, der Schwiegersohn des Opfers, ein gescheiterter Sänger, der bis über die Ohren in Schulden steckte und nicht in der Lage war, die extravaganten Ausgaben der Tochter des Juweliers, einem leichtsinnigen Ding, das an Yachten, Breitschwanzmäntel und Kaviar gewöhnt war, zu bezahlen, meinte, dass nur der Tod seines Schwiegervaters ihn aus einer täglich verzwickter und verworrener werdenden Lage retten könne: Nachlässig schüttete er den Inhalt eines kleinen Fläschchens mit Fibrotoxin, das er im Schnuller seiner Riesen-saugflasche versteckt hatte, in die Wasserkaraffe.

Doch der wahre Sachverhalt dieser Angelegenheit, ihre unerwartete Wende, ihre schließliche Umkehrung, ihre letztliche Enthüllung, ihr Ausgang liegt anderswo: Der Brief, den Oswald Zeitgeber las, bedeutete sein Todesurteil: Dieses kürzlich in Afrika entdeckte Massengrab war alles, was von einem aufständischen Dorf übrigblieb, das er, nachdem er dessen gesamte Bevölkerung hatte umbringen lassen, dem Erdboden gleichmachen ließ, bevor er einen sagenhaften Elefantenfriedhof plünderte. Von diesem kaltblütig begangenen Verbrechen rührte sein kolossales Vermögen her. Der Mann, der ihm diesen Brief schickte, hatte ihn zwanzig Jahre lang verfolgt, unaufhörlich die Beweise für seine Schuld suchend: die hatte er nun und die Nachricht sollte bereits am nächsten Tag in allen Schweizer Zeitungen erscheinen. Zeitgeber erhielt die Bestätigung dafür, als er diejenigen seiner Mitarbeiter anrief, die damals seine Komplizen gewesen waren und die wie er den Brief bekommen hatten: Der Skandal ließ allen keinen anderen Ausweg als den Tod.

Zeitgeber ging sich also einen Schemel und einen Strick holen, um sich aufzuhängen. Zuerst aber, vielleicht aus dem abergläubischen Gefühl heraus, eine gute Tat vollbringen zu müssen, bevor er starb, goss er, als er sah, dass es den Goldfischen an Wasser fehlte, die Wasserkaraffe in den Glasbehälter, den Jarrier absichtlich umgestoßen hatte, als er ins Zimmer kam. Dann bereitete er seinen Strick vor. - (per)


Lösung (5)  »Bitte stellen Sie sich einen Schießstand vor, in dem statt einer Scheibe eine Briefmarke aufgestellt wird - eine halbe Meile vom Standort der Schützen. Es ist die Zehn-Centimes-Marke mit der Marianne. Auf ihrer Stirn hat eine Fliege einen Punkt hinterlassen. Und jetzt machen sich ein paar ausgewählte Schützen ans Schießen. Sie werden den Punkt bestimmt nicht treffen, weil sie ihn nicht ausmachen können. Wenn nun hundert mäßige Schützen sich ans Schießen machen und wochenlang schießen, ist es völlig sicher, daß schließlich irgendeiner von ihnen den Punkt trifft. Der Schütze trifft nicht, weil er phänomenal war, sondern weil so dicht geschossen wurde. Sind Sie einverstanden?«

»Ja, aber das erklärt nicht. ..«

»Ich bin nicht zu Ende. Es ist Sommer, und auf dem Schießstand mangelt es nicht an Fliegen. Die Wahrscheinlichkeit, gleichzeitig den Punkt zu treffen und eine Fliege, die sich vor den Lauf begeben hat, ist noch kleiner. Die Wahrscheinlichkeit, den Punkt zu treffen und mit derselben Kugel noch drei Fliegen, ist astronomisch gering, wie Sie sich ausgedrückt haben, und doch versichere ich Ihnen, daß auch eine solche Koinzidenz sich ereignet, wenn das Schießen nur lange genug anhält!« 

»Entschuldigen Sie, Sie reden von einer ganzen Sintflut von Schüssen, aber ich war ein einzelner...«

»Das kommt Ihnen nur so vor. Im gegebenen Zeitabschnitt wird die Kugel, die den Punkt durch die drei Fliegen trifft, auch eine einzelne sein. Der Schütze, dem das passiert, wird sich mit seinem Erstaunen genauso brüsten wie Sie. Daß gerade er getroffen hat, ist weder wunderbar noch seltsam, weil jemand treffen mußte. Begreifen Sie? Der gesunde Menschenverstand nützt hier nichts. Es ist geschehen, was ich Ihnen vorausgesagt habe. Ein Lotteriemechanismus hat das Rätsel von Neapel geboren, und genau so ein Mechanismus hat es gelöst. In beiden Gliedern der Aufgabe wirkte das Gesetz der großen Zahl. Natürlich, hätten Sie eine einzige Bedingung aus ihrer notwendigen Menge nicht erfüllt, so hätten Sie sich nicht vergiftet, doch früher oder später hätte jemand anderes die Bedingungen erfüllt. In einem Jahr, in drei Jahren, in fünf Jahren. Es wäre dazu gekommen, denn wir leben nun einmal in einer solchen schicksalhaft verdichteten Welt. In einem molekularen Menschen-Gas, das chaotisch ist und mit seinen Unwahrscheinlichkeiten nur die einzelnen Atome, die Individuen in Erstaunen versetzt. Das ist eine Welt, in der das Ungewöhnliche von gestern zum Banalen von heute wird und das Extrem von heute zur Norm von morgen.«  - Stanislaw Lem, Der Schnupfen. Frankfurt am Main 1979

 

Problem Rätsel

 


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