Literaturcocktail   Harriet ging aus, um eine literarische Cocktail-Gesellschaft zu besuchen. Das Zimmer war fürchterlich heiß und voll, und sämtliche versammelten Schriftsteller sprachen a) über Verleger, b) über literarische Agenturen, c) über die Verkaufsziffem ihrer eigenen Bücher, d) über die Verkaufsziffern der Bücher anderer und e) über das merkwürdige Verhalten der Jury des ›Modernen Buchklubs‹, die ihre Eintagslorbeeren Tasker Hepplewaters ›Falscher Schildkröte‹ zuerkannt hatte. »Während ich das Buch zu Ende las«, hatte ein angesehener Preisrichter geschrieben, »liefen mir die Tränen über das Gesicht.« Der Autor des ›Giftzahn‹ flüsterte Harriet über einem Glas Sherry und einem Würstchen zu, es müßten wohl Tränen der Langeweile gewesen sein, aber der Verfasser von ›Schauer der Dämmerung‹ meinte, vermutlich seien es Tränen der Heiterkeit gewesen, hervorgerufen durch den unfreiwilligen Humor des Buches. Ob sie Hepplewater je kennengelernt habe? Eine sehr aufgebrachte junge Frau, deren Buch übergangen worden war, erklärte, das Ganze sei eine offenkundige Farce. Der Monatsband des Klubs werde der Reihe nach aus der Erscheinungsliste der verschiedenen Verleger ausgewählt, so daß ihre ›Ariadne Adams‹ automatisch nicht in Frage gekommen sei, bloß weil im vorigen Januar ein Buch ihres Verlegers preisgekrönt worden war. Privatim aber habe sie gehört, daß der Kritiker des Morning Star wie ein Kind über die letzten hundert Seiten der ›Ariadne‹ geschluchzt habe und sie wahrscheinlich zu seinem ›Buch der vierzehn Tage‹ machen werde, falls der Verleger sich bereit erklärte, gleichzeitig zu inserieren. Aber die Verfasserin von ›Frühüngsgetändel‹ sagte, bei den Leuten des ›Modernen Buchklubs‹ seien ausschließlich persönliche Beziehungen maßgebend; sie könnten sich doch sicher erinnern, daß Hepplewater die Schwester von Walton Strawberrys neuester Frau geheiratet habe. Die Verfasserin von ›Ein Tag voll Frohsinn‹ gab zu, daß die Sache mit den Beziehungen richtig sei, meinte aber, es handle sich in diesem Fall um etwas Politisches, da die ›Falsche SchiIdkröte‹ einiges an sehr energischer antifaschistischer Propaganda enthalte und es wohlbekannt sei, -daß man den alten Sneep Fortescue mit einem scharfen Angriff auf die Schwarzhemden immer herumkriegen könne.

»Wovon handelt die >Falsche Schildkröte‹?« fragte Harriet.

Über diesen Punkt äußerten sich die meisten Autoren unklar, nur ein junger Mann, der humoristische Erzählungen für Zeitschriften schrieb und daher in seinen Ansichten über Romane großzügig sein konnte, sagte, er habe sie gelesen und recht interessant gefunden, wenn auch etwas lang. Das Buch handle von einem Schwimmlehrer in einem Badeort, der durch den Anblick so zahlreicher Badeschönheiten einen solchen Antinacktkultur-Komplex bekommen habe, daß dieser seine sämtlichen natürlichen Empfindungen verdrängt habe. So läßt er sich auf einem Walfischfänger anheuern und verliebt sich auf den ersten Blick in eine Eskimofrau, weil sie ein so schönes Bündel Kleider ist. Er heiratet sie und nimmt sie mit nach England. Dort lebt sie in einer Vorstandt und verliebt sich in einen Vegetarier. Der Gatte wird dadurch leicht verrückt und bekommt einen Komplex über Riesenschildkröten. Er verbringt seine gesamte freie Zeit damit, in den Schildkrötenteich des Aquariums zu starren und den rätselhaften, trägen Ungetümen zuzusehen, die tiefsinnig in ihren Gehäusen herumschwimmen.   - Dorothy Sayers, Aufruhr in Oxford. Bergisch Gladbach 1979 (zuerst ca. 1935)

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