Liegenbleiben   Wenn ein Vogel das große Volk der Raupen schlafend in ihrem Zelt findet, so frißt er sie alle. Keine Flucht gibt es, es sei denn, eine der Raupen erwachte noch und ließe sich an einem aus sich selbst gesponnenen Faden auf den Boden herab. Der Vogel nimmt die vielen hundert Raupen mit in sich fort. Er macht aus ihnen eine neue Brut. Er legt die Blüte des Busches in die Eier der Vögel, die nach ihm kommen werden. In der neuer Brut der Vögel lebt die Blüte des Busches weiter, diese Generation der grünen Korallen, welche die Raupen abgeweidet hatten. Und irgendwo wird ein Vogel im Walde sterben. Ungezählte Vögel gehen dort zu Ende. Wo der Vogel liegen bleibt, gleichviel, ob ihn noch diese und jene Würmer oder Ameisen, Käfer und Wespen auseinanderzerren — sie alle bilden eine Einheit aus der wiederum langsam ein neuer Busch wird, einer der Büsche, die viele grüne Korallen zu einem großen Stock aufbauen.  - Ernst Fuhrmann, Wald. Nach (fuhr)

Liegenbleiben (2)  Einmal hatte man ihn sechs Wochen lang nicht mehr gesehen. Er ging dann auch nicht ans Telefon, kam nicht an die Tür, nur Lerry durfte hinein, um ein paar Zwiebackpakete oder zehn Pfund Orangen abzuliefern.

Weißt Du, ich bleib wirklich nicht freiwillig im Bett. Wenn der Bandwurm im Hirn sich einmal geregt hat, es ist schwer zu sagen, Du liegst, und ein Gedanke schiebt den anderen durchs Hirn, langsam, zäh, verstehst Du, und Du kriegst immer den einen Gedanken mit, der gerade in der Mitte ist, aber kaum daß Du ihn hast, verdünnt er sich auch schon wieder, nicht schnell, aber stetig, Du kannst nicht eingreifen, eine Schnecke, die die andere schiebt, was willst Du machen, Du wartest auf den nächsten, und wieder auf den nächsten, und wieder auf den nächsten, aber keiner hält sich so lange, daß er Dich zum Aufstehen veranlassen konnte, natürlich blinkert's zwischendurch wieder von Aufstehen und Telefon, aber dann kommt gleich der nächste zähe Schub, der alles wieder eben macht. Was Arbeit, was Leben, heißt es dann. Schreiben sich nicht Ernstzunehmende die Finger wund über die Sinnlosigkeit, und rennen sich doch die Hacken ab, um bei jeder Fehlgeburt dabei zu sein; da sage ich mir dann, um mir was Nettes zu sagen: ich praktiziere, was die schreiben. Würde natürlich gerne aufstehen, ich scheiß doch auf die Sinnlosigkeit, es ist einfach angenehmer, etwas zu tun als etwas zu denken, aber was willst Du machen, wenn es nicht zu schaffen ist? Wenn Du, mach was Du willst, ums Verrecken nicht hochkommst. - Martin Walser, Halbzeit. München 1971 (zuerst 1960)

 

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