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(waid)
Liegen
(2) Das Liegen ist eine Entwaffnung
des Menschen. Eine Unmenge von Handlungen, Haltungen
und Allüren, die einen in aufrechtem Zustand ganz bestimmen, werden abgelegt
wie Kleider, als ob sie, um die er sich sonst so bemüht, gar nicht wirklich
zu ihm gehörten. Dieser äußere Prozeß läuft parallel zu dem inneren des Einschlafens,
da auch vieles abgestreift und beiseite geschoben wird, das sonst unentbehrlich
scheint, bestimmte schützende Bahnen und Zwänge des Denkens, die Kleider des
Geistes. Der Liegende entwaffnet sich so sehr, daß man überhaupt nicht begreift,
wie die Menschheit es fertiggebracht hat, den Schlaf
zu überleben. In ihrem wilderen Zustand hat sie
nicht immer in Höhlen gehaust; und selbst diese waren gefährlich. Die armseligen
Windfänge aus Zweigen und Blättern, mit denen viele Wilde sich für die Nacht
zufriedengeben, sind überhaupt kein Schutz. Es ist ein Wunder, daß es noch Menschen
gibt; sie hätten längst ausgerottet sein müssen, als ihrer noch wenige waren. -
(
cane
)
Liegen
(3) Jetzt im Bett,
kommt mir vor, ich könnte nie genug davon kriegen. Liegen und liegen. Kissen
umarmen. Die Tage rutschen mir durch die mit der Bettdecke beschäftigten Finger
wie nichts. Ich komme außer Atem, wenn ich mitzählen will. Keine Zeit, keine
Zeit. War ich je so in Bewegung. Offenbar rast mein Blut durch die Adern. In
Kniekehlen, Armbeugen, Lenden, Hals, an allen Gliederknicken
schlagen die Pulse. Schlagen gegen die Bettdecke. Wo die Bettdecke berührt,
raschelt die Bettdecke unter meinen Pulsen, vibriert sie, schlägt mit, multipliziert
sie meine Pulse, das Zimmer schwankt, hoffentlich ist das Haus elastisch, hoffentlich
gibt die Weltdecke nach, sonst zerreiße ich, zerreiße ich sie, zerreißen wir
mit einander. Eine leichtere Bettdecke brauch ich. Ich darf die Pulse nicht
durch Widerstand reizen. Die Bewegung soll kreisen, konzentrisch, immer enger,
eine Fassung meiner selbst. Gyrinus-Taumelkäfer, ich sah Dich im Sommer die
engen Kreise auf dem Wasser ziehen. Dich mach ich zum ersten Tier, in meinem
Wappen. - Martin Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main 1966
Liegen
(4) Ein junger
Mann hat sich geduldig die übertriebenen Anpreisungen des Schadchens
angehört. Schließlich sagt er: »Eins haben Sie aber vergessen, nicht wahr?«
»Was sollte ich vergessen haben?«
»Sie hinkt.«
»Aber nur, wenn sie läuft!« sagt der Schadchen. -
(
ji
)
Liegen
(5)
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