iebesspiel    Vic trat an das Terrarium. Hortense und Edgar waren beim Liebesspiel. Edgar bog sich von einem kleinen Stein hinunter, um Hortense auf den Mund zu küssen. Hortense hatte sich auf dem Schwanzende in die Luft erhoben und bewegte sich unter seiner Liebkosung wie eine von Musik verzauberte Tänzerin. Vic sah vielleicht fünf Minuten lang zu, ohne an irgend etwas, nicht einmal an die Schnecken zu denken, bis er sah, wie an der rechten Kopfseite jeder Schnecke die rundlichen Auswüchse hervortraten. Wie sie sich liebten, und wie sie zueinander paßten! Die klebrigen Gebilde wurden größer und berührten sich, Rand an Rand, und die Münder trennten sich. Dann blickte er auf seine Uhr. Fünf vor zehn. Es schien ihm eine seltsam deprimierende Zeit. Im Haus war es totenstill. Er fragte sich, ob Trixie wohl schliefe. Er räusperte sich, und dieses kleine normale Geräusch klang so laut wie ein Schritt auf dem Kies draußen.

Die Schnecken verhielten regungslos. Zuerst schoß Hortense ihren Fühler heraus - und verfehlte ihr Ziel. Ob das Absicht war? Gleich darauf versuchte es Edgar: es gelang nicht, er zog den Fühler zurück und versuchte es noch einmal. Diesmal erreichte er sein Ziel, der Fühler drang ein, und nun versuchte es auch Hortense von neuem. Ihr fiel es schwerer, sie zielte nach oben, aber nach drei geduldigen Versuchen war auch sie am Ziel. Dann, wie in Trance, bogen sich die Kopfe ein wenig zurück, die Fühler drangen fast ganz ein, und Vic wußte: hatten sie Augenlider gehabt, so hätten sie sie jetzt geschlossen. Die Schnecken machten keine Bewegung. Er starrte sie an, bis er das erste Anzeichen sah, daß die Ränder der beiden Gebilde sich lösen wollten. Dann begann er, in der Garage auf und ab zu gehen. Er litt unter einem ungewohnten Gefühl der Unruhe. Seine Gedanken wanderten zu Melinda, aber er wollte jetzt nicht an Melinda denken. Er kehrte zu den Schnecken zurück, um sich abzulenken.

Viertel vor elf. War sie bei Wilsons? Wahrscheinlich redeten sie alle gleichzeitig vor Aufregung. .. War der Detektiv auch dabei? Oder war er nach seinem harten Arbeitstag zu Bett gegangen? Ob irgend jemand wohl an den Steinbruch dachte? Vic beugte sich über die Schnecken und betrachtete sie durch ein Vergrößerungsglas. Jetzt waren sie nur noch durch die beiden Fühler verbunden, und so würden sie noch mindestens eine Stunde ausharren, das wußte er.

Vic hatte heute abend keine Geduld, die Schnecken länger zu beobachten. Er ging in sein Zimmer, um zu lesen.

Fünf Tage später begann Hortense, ihre Eier zu legen; es dauerte  vierundzwanzig   Stunden.    - Patricia Highsmith, Tiefe Wasser. Zürich 1976 (zuerst 1957)