iebesnacht   Dédette erwies sich schnell verändert. Sie drängte, zu Eiermanns innigem Ergötzen von ›decamper‹ sprechend, zum Aufbruch, restaurierte unter der ersten Bogenlampe der Bredgade eilig ihr arg verschmiertes Gesicht und ließ sich nach zahlreichen, wenn auch um so kürzeren Weigerungen in seine Wohnung führen.

Daselbst verbrachte Eiermann, auf Dédettes unabänderlichen Befehl hin, den sie mit ihrer Keuschheit rechtfertigte, unter Ausschluß jeder Beleuchtung eine überaus eifrige Liebesnacht, die bis gegen fünf Uhr morgens währte, um welche Zeit man dem wohl verdienten Schlaf sich überließ.

Um sieben Uhr erwachte Eiermann zufälliger Weise und mußte eine sehr überraschende Entdeckung machen: Dédette lag nicht mehr neben ihm. Er beruhigte sich jedoch schnell: sie hatte ihren Dienst antreten müssen und ihn nicht wecken wollen.

Stolz und freudetrunken durchthronte er den Tag im Café Paraplyen auf dem Rathausplatz. Abends freilich, als er heimkam, wartete seiner die zweite, unliebsame Überraschung: seine Brieftasche mit achthundert Kronen, die in einem Schreibtischfach sich befunden hatte, war verschwunden, desgleichen, als er mißtrauisch geworden, kontrollierte, elf Taschentücher, ein silbernes Zigarettenetui und ein alter goldener Ring.

Nachdem Eiermanns Gehirn eine außerordentlich turbulente Nacht hinter sich hatte, eilte er in die Grennegade, um nach Dédette zu fragen. Aber niemand im ganzen Hause, in dem überdies keine Frau von Pillingende wohnte, wußte etwas von einer Französin. Nun fuhr er in die Stampesgade zum Briefträgersaal. Der Briefträger der Grennegade erinnerte sich sehr wohl an jenen blauen Brief: er habe, nachdem er in allen Etagen mit ihm abgewiesen worden war, eine junge Dame, die ihm tagsdarauf auf der Treppe entgegenkam, gefragt, ob dieser Brief an sie gerichtet sei; denn sie habe einen Goldzahn gehabt und er deshalb angenommen, daß sie im Hause wohne, obwohl es freilich auch bloß eine Besucherin gewesen sein könnte; aber wenn ein Brief eine solche Adresse habe, könne man nicht verlangen, daß er es allzu genau nehme.

Zwei Tage später erfolgte die dritte Überraschung: Eiermann hatte Läuse und mußte zu einer gründlichen Rasur schreiten und der ausgiebigen Verwendung von grauer Salbe. Dieser Prozedur lag er am andern Morgen eben wieder mißlaunig ob, als ihm vom Teppich her etwas entgegenglitzerte. Und alsbald hielt er eine winzige ovale Silberplaquette in der Hand, auf der als mattes Relief die Madonna von Lourdes sich abhob und die Inschrift: ›Je suis l'immaculée conception‹. - Walter Serner, Das Rendez-vous mit dem Goldzahn. In: W.S., Die tückische Straße. Neunzehn Kriminalgeschichten. München 1982 (dtv 1791, zuerst 1926)

Liebesnacht (2) Wir erschauerten, als wir ihn betraten. Es war ein Sanktuarium; es war das Heiligtum der Liebe. Es ergriff von uns Besitz; unsere Knie wankten, unsere kraftlosen Arme umschlangen sich, und da wir uns nicht länger aufrecht zu halten vermochten, taumelten wir zu einem Ruhebett, das einen Teil des Tempels einnahm, und sanken darauf nieder. Der Mond ging unter, und mit seinem letzten Strahl fiel der letzte Schleier einer Scham, die, glaub ich, mählich lästig wurde. Alles verschwamm in der Dunkelheit. Die Hand, die mich zurückstoßen wollte, fühlte mein Herz klopfen. Sie wollte sich von mir losreißen und sank doch nur in zärtlicher Lust um so liebeswilliger zurück. Unsere Seelen verschmolzen, vervielfachten sich: jeder Kuß, den wir tauschten, beseelte uns aufs neue.

Nach und nach legte sich der tobende Rausch unserer Sinne; indes fanden wir den Gebrauch unserer Stimme noch nicht wieder. Wir hielten in der tiefen Stille Zwiesprache, ließen stumm nur unsern Gedanken freien Lauf. Madame de T... schmiegte sich in meine Arme, sie barg ihr Gesicht an meiner Brust, seufzte und wurde unter meinen Liebkosungen langsam ruhig. Sie grämte sich, vergaß aber bald ihren Kummer und heischte abermals Liebe für alles, was ihr die Liebe eben erst geraubt hatte.

Hatte sie die Liebe kurz zuvor noch erschreckt, so gab sie ihr im nächsten Augenblick die Ruhe wieder. Will man auf der einen Seite herschenken, was man sich hat nehmen lassen, so möchte man auf der andern wiederhaben, was einem geraubt wurde. So hatte man es hier wie dort eilig, einen zweiten Sieg zu erringen, um sich seiner Eroberung zu versichern.

Das alles war ein wenig überstürzt vor sich gegangen. Wir fühlten, was wir falsch gemacht hatten. Also holten wir eingehender nach, was uns entgangen war. Wird das Verlangen übermächtig, so vergißt man alle zartfühlende Rücksicht. Man kann nicht länger warten, man will genießen und gibt alle die köstlichen Vorfreuden dran, zerreißt ein geknotetes Band, zerfetzt einen Schleier; überall hinterläßt die Wollust ihre Spuren, und nicht lange, so sieht das Götterbild einem Schlachtopfer ähnlich. - Vivant Denon, Nur eine Nacht. In: Meistererzählungen des französischen Rokoko. München 1962

Liebe Nacht

 

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