iebe, wahre   Wie aber willst du schreiben? Schließlich schreibst du jeden Abend ... Und er dachte an seine Geschichte »Die wahre Liebe«. Noch keine Zeile hatte er davon auf dem Papier, ... dachte er und meinte, die Frau, die im Mittelpunkt stehe, müsse eine Hypersensible sein, eine, die sich ins Weintrinken flüchte und deren Leidenschaft... Aber das bringst du nicht zusammen. Jedenfalls grenzte die wahre (oder konsequente) Liebe an Zerrüttung oder führte dorthin. All dies war hinlänglich bekannt.

Eine Seelenkrankheit also. Das Milieu, in dem »Die wahre Liebe« spielte, mußte abseits liegen, auf schwäbisch: »nebendraußen«. Nein, auch falsch, weil du kein abseitiges Milieu kennst. Und dich selber kannst du auch nicht schildern. Versuche also, dir eine Frauenfigur vorzustellen, die zur wahren Liebe paßt... Und er meinte, daß er eine beschreiben oder heraufholen müsse, die an niemanden erinnerte, der ihm bekannt war. Wenn er die in sein Büro hereinkommen ließe? Nein, das gab es nicht, das war doch Unsinn. Wenn solch eine auftauchte, würde sich der Doktor Naschold an sie hängen. Falls der bei ihr keinen Erfolg haben sollte, würde er sie großmütig dem Eugen überlassen (das war auch ein Motiv).

Du hättest deine Mühsal mit der Dame, warte nur. Die käme dir dann unwahrscheinlich vor (die mit ihrer schizothymen Phantasie). Du ertrügest dies nicht lange. Immerhin, wenn du sie in deine Büro-Umwelt hineinstelltest, entwickelte sich vielleicht eine »zeitadäquate« Erzählung mit Rissen und Sprüngen einer zerrütteten Seele. Auch Groteskes mischte sich hinein, denn so wie du hier lebst, das ist doch allzu abgerückt von den Bedürfnissen anderer Zeitgenossen. Und er entsann sich eines Schriftstellers der Gruppe 47, der von einem anderen gesagt hatte, der sei kein »Zeitgenosse«.

Kurios das Ganze. Und er dachte, nun, das seien halt die Mühsale eines Schriftstellers, der nach einem »Stoff« sucht. Erleben freilich, wie das mit solch einer Dame wirklich ist, das möchtest du nicht. Und warum? Weil du befürchtest, an sie gekettet zu werden. Und für dich bleiben (mit der Treutlein Hanni), das willst du auch. Ob sich aber das mit der Überspannten auf dem Papier machen ließ, dies wollte er ausprobieren.  - Hermann Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am Main 1988 (st 1491, zuerst 1983)

Liebe, wahre (2)  Ich will es nicht leugnen - ich war ihr nicht immer treu in all diesen Jahren. So lange ich nichts von der wahren Liebe gewußt hatte, pfiff ich auf die frivolen Weiber, aber jetzt, da ich wirklich liebte, paßte es mir in den Kram, mich auch mit anderen Frauen zu vergnügen. Wenn Frauen wissen, daß ein Mann allein lebt, bieten sie sich gleich dutzendweise an. Ich wurde ein richtiger Don Juan. Ich verkehrte in Nachtklubs und Restaurants, wo man die großen Tiere trifft. Mein Name wurde sogar in der Klatschspalte erwähnt. Aber diese falschen Lieben machten nur Spaß, weil in Brownsville, in der Blake Avenue, die wahre Liebe auf mich wartete. Wer hat das gesagt? Eine Unze Wahrheit wiegt mehr als zehntausend Tonnen Lügen. -  Isaac Bashevis Singer, Sam Palka und David Wischkower. In: I.B.S., Leidenschaften. Geschichten aus der neuen und der alten Welt. München 1993. (zuerst 1975)

Liebe, wahre (3)  Seine wahre Liebe gehörte der chanteuse, der er die ganze zaghafte Leidenschaftlichkeit seiner geschwächten Manneskraft zuwendete. Die Leute fragten sich, wieso der Doktor Cirmeni diese chanteuse so verzweifelt anbeten könne, dieses Matrosenliebchen, Rückstand aus Bordellen, Abenteurerin auf dem Rückzug, Überbleibsel einer zugrunde gegangenen Schönheit, verfallene Venus, wie er überhaupt einen Körper lieben könne, dem weder die Anmut der Linie noch die Harmonie der Formen geblieben war. Wie es möglich sei, daß er eine durch die Jahre und durch die Schminke ruinierte Frau lieben könne, deren Sinnlichkeit ebenso welk geworden sein mußte wie die Haut ihres Halses, wie ihre Brüste, wie ihre Lenden. - Pitigrilli, Der Keuschheitsgürtel. In: P., Betrüge mich gut. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12179, zuerst 1922)

Liebe, wahre (4)  Die Blonde nahm einen pelzgefütterten Mantel von ihrem Arm und legte ihn der anderen um die Schultern.

»Kommen Sie«, sagte sie, »man muss frei werden, frei zum Töten und zum Schreien, frei, ihm die Haare auszureißen, und frei, aus keinem anderen Grund loszurennen, als um lachend zurückzukehren.«

»Seine Haare sind sehr lang und dick. Sie sind fast blau, graublau. Ich mag sie sehr.«

Sie versank wieder in anbetendes Schweigen.

»Ich könnte Sie ohrfeigen«, stieß die Blonde ärgerlich aus. »Sie können doch niemanden lieben, bevor Sie Blut vergossen und die Finger hineingetaucht haben, und das mit Wonne.«  - (wind)

Liebe, wahre (5)  Mit Amalien ist es gar nichts, als daß ich sie zum Scherz liebe. Ich möchte sie gar nicht, wenn sie nicht ein wenig kokett wäre. Gäbe es nur mehr solche in unserm Zirkel! Eigentlich muß man alle Frauen im Scherze lieben. -Julius! ich glaube, du wirst ganz närrisch. -Nun versteh mich wohl; nicht eigentlich alle, sondern nur alle, die liebenswürdig sind und die einem eben vorkommen. - Das ist also weiter nichts, als was die Franzosen Galanterie und kokett nennen. -Weiter nichts, außer daß ich's mir schön und witzig denke. - Friedrich Schlegel, Lucinde. Berlin u.a. 1980 (zuerst 1799)

Liebe, wahre (6)  Er ging wieder in die Garage zurück und trug nacheinander die drei Terrarien mit seinen Schnecken nach draußen; sie waren mit Kupferdrahtgeflecht abgedeckt, das den Regen durchließ und die Schnecken am Hinauskriechen hinderte. Die Schnecken liebten Regen sehr. Er beugte sich über das eine Terrarium und beobachtete die beiden Schnecken, die er

Edgar und Hortense getauft hatte; sie krochen langsam aufeinander zu, hoben die Köpfe, küßten sich und glitten weiter. Vermutlich würden sie sich heute nachmittag während des leichten Regens paaren. Sie paarten sich ungefähr einmal m jeder Woche, und Vic war davon überzeugt, daß sie sich aufrichtig liebten, denn Edgar hatte keine Augen für andere Schnecken, und Hortense ging niemals auf die Versuche anderer Schnecken ein, sie zu küssen. Das war noch wahre Liebe, fand Vic, wenn es sich auch nur um Gastropoden handelte. Er dachte an den Satz in dem einen Buch von Henry Fahre, der von Schnecken berichtet, die über hohe Mauern krochen, um ihren Partner zu finden, und obgleich Vic es niemals experimentell nachgeprüft hatte, schien es ihm durchaus glaubhaft.  - Patricia Highsmith, Tiefe Wasser. Zürich 1976 (zuerst 1957)

Liebe, wahre (7)  Cairo, der immer noch dem Jungen ins Ohr tuschelte, hatte erneut den Arm um die Schultern des Jungen gelegt. Plötzlich stieß der Junge den Arm weg und rutschte auf dem Sofa herum, so daß er dem Levantiner ins Gesicht sehen konnte. Die Miene des Jungen spiegelte Wut und Abscheu wider. Er ballte seine kleine Hand zur Faust und hieb sie Cairo auf den Mund. Cairo schrie spitz auf wie eine Frau und rutschte bis ans äußerste Ende des Sofas zurück. Er zog ein seidenes Tuch aus der Tasche und führte es an den Mund. Als er es wegnahm, war es blutbefleckt. Er drückte es sich wieder auf den Mund und sah den Jungen vorwurfsvoll an. Der Junge fauchte ihn an: »Rühr mich nicht nochmal an!« und packte sein Gesicht wieder zwischen seine Hände. Cairos Taschentuch verbreitete Chypreduft im Zimmer.

Cairos Aufschrei hatte Brigid O'Shaughnessy an die Tür kommen lassen. Spade deutete grinsend mit dem Daumen aufs Sofa und erklärte ihr: »Der wahren Liebe Lauf.«  - Dashiell Hammett, Der Malteser Falke. Zürich 1974 (zuerst 1930)

Liebe

 

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