Lernfähigkeit  Neben Lello wirkte Cagone wie ein Lumpensack, mit seinem hochgeklappten Kragen und seinen schmutzigen, vom Nebel feuchten Locken. Der glatte, zerrissene und fadenscheinige Mantel, der ihm bis auf die Knöchel herabhing, gab ihm auch eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Priester, was er ausnutzte, um sich als besonders verrückt aufzuspielen. Er war das Kind einer Nutte und eines schweren Jungen und hatte noch ein paar Geschwister, die verstreut irgendwo in Rom lebten. Sein Vater verbrachte gewöhnlich zwei Jahre im Kittchen und einen Monat draußen; man durfte ruhig sagen, daß Cagone ihn überhaupt nie zu Gesicht bekam. Seine Mutter hatte sich selbst um ihren Lebensunterhalt gekümmert, als et noch in den Windeln lag. Am Ponte Garibaldi, wo sie auf den Strich ging, weil ihr Lude am Campo Buozzi wohnte, nannte man sie wegen ihrer schlohweißen Haare la Vecchiona, die Alte.

Als Cagone etwa dreizehn oder vierzehn Jahre zählte, erfuhr er, daß seine Mutter als Straßenmädchen arbeitete; er wartete, bis er noch etwas größer und kräftiger geworden war, und dann, nach zwei bis drei weiteren Jahren, stellte er sich vor sie hin, packte sie an der Kehle und sagte: »Von jetzt an gibst du mir fünf Hunderter am Tag, sonst bring ich dich um!« Erschreckt versprach sie ihm, zu tun, was er wollte, denn Cagone scherzte nie; so kam es, daß sie dem Jungen heimlich, immer in Angst vor ihrem Zuhälter, jeden Monat fünfzehntausend Lire zusteckte. Von dieser Seite her also war für ihn gesorgt. Was er sonst trieb, um zu Geld zu kommen, tat er nicht aus Sorge ums tägliche Brot, sondern um seinen Vergnügungen nachgehen zu können. - Pier Paolo Pasoloni, Vita Violenta. München u. Zürich 1983 (zuerst 1959)

 

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