endengicht
Anthimos verstieg sich zu ein paar verbindlichen Worten über Baragüouls
jüngsten Roman: „Höhenluft". In Wahrheit hatte er dieses Buch erbärmlich
gefunden; und Julius, der sich darüber keiner Täuschung hingeben konnte, erwiderte
(um die eigene Empfindlichkeit aus dem Spiel zu bringen):
„Ich dachte mir wohl, daß ein solches Werk Ihnen nicht gefallen würde."
Anthimos, trotz einigen Willens zur Nachsicht, fühlte sich durch diese Anspielung
auf seine Denkweise verletzt; er beteuerte, daß letztere sein Urteil über Kunstwerke
im allgemeinen, und speziell über die Bücher seines Schwagers, in keiner Weise
beeinflusse. Julius lächelte mit diplomatischer Verträglichkeit, und um den
Gegenstand zu wechseln, erkundigte er sich nach des Schwagers Hüftleiden, das
er aus Versehen seine „Lendengicht" nannte. Ach, weshalb fragte er nicht
lieber nach den wissenschaftlichen Experimenten?! Das wäre ein sympathisches
Gesprächsthema gewesen . . . Aber nach Anthimos' „Lendengicht"! Warum dann
nicht auch gleich nach seiner Geschwulst! .. . Wissenschaftliche
Experimente — die paßten dem frommen Unsterblichkeitsaspiranten offenbar so
wenig in den Kram, daß er sie am liebsten ganz ignorierte! . . . Anthimos, schon
recht erhitzt und gerade aufs neue von der „Lendengicht" gemartert, grinste feindselig.
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André Gide, Die Verliese des Vatikan. München 1975 (dtv 1106, zuerst 1914)
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