eierkasten  Es gab dort Leierkästen, wahre Wunder der Technik, voll versteckter Flöten, Kehlen, Pfeifen und kleiner Register, die so süß trillerten wie Nester schluchzender Nachtigallen — ein unschätzbarer Schatz für Invaliden, eine Quelle lukrativer Einkünfte für Krüppel und überhaupt unerläßlich in jedem musikalischen Haus. Und man sah diese Leierkästen, schön bemalt, auf den Schultern unansehnlicher grauer Greise dahinwandern, deren Gesichter — verzehrt vom Leben - wie von Spinnweben eingesponnen und völlig ausdruckslos waren, Gesichter, schal geworden vor lauter Leben, so ausgeblcicht und unschuldig wie Baumrinde, geplatzt von allerlei Wettern und lediglich nach Regen und Himmel riechend gleich dieser.

Sie hatten längst vergessen, wie sie hießen und wer sie Waren, und so schlurften sie, in sich zusammengesunken und mit gebogenen Knien, mit kleinen, gleichmäßigen Schritten in riesigen schweren Schuhen eine völlig gerade und einförmige Straße entlang, inmitten gewundener und verworrener Wege.

An den weißen, sonnenlosen Vormittagen, Vormittagen, altbacken vor Kälte und in die üblichen Trivialitäten des Tages versunken, schälten sie sich unbemerkt aus der Menge, stellten die Leierkästen an den Straßenecken unter dem gelben, von Telegraphendrähten durchschnittenen Streifen des Himmels, inmitten der stumpfen, mit aufgestellten Mantelkragen dahineilenden Menge auf die Kreuzhölzer und begannen ihre Melodie - nicht von Anfang, sondern von der Stelle an, wo sie gestern innegehalten hatten - und spielten. »Daisy, Daisy, gib eine Antwort mir . . .«, während aus den Schornsteinen weiße Federbüsche von Rauch qualmten. Und seltsam, die Melodie, kaum begonnen, sprang sogleich in die Lücke, an ihren Platz in dieser Stunde und in dieser Landschaft, als hätte sie seit jeher in diesen nachdenklichen und in sich selbst versunkenen Tag gehört, als liefen in ihrem Takt die Gedanken und grauen Sorgen der eiligen Passanten.

Und wenn sie nach einer gewissen Zeit aufhörte, mit einem langen, gedehnten Gewinsel aus dem Inneren des Leierkastens getrennt, das einen ganz anderen Ton anstimmte, hielten die Gedanken und Sorgen einen Augenblick inne, als wechselten sie im Tanz den Schritt, und begannen sich dann - ohne innezuhalten - in der entgegengesetzten Richtung zu drehen, im Takt der neuen Melodie, die aus den Pfeifen des Leierkastens gelaufen kam: »Margarethe, du mein Herzensschatz . . .«

In der stumpfen Gleichgültigkeit dieses Vormittags bemerkte nicht einer, daß sich der Sinn der Welt von Grund auf geändert hatte. - Bruno Schulz, Das Buch. In (bs)

 

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