Leberspiel   Also die Moralistenleber, rief Wollensak. Richtig, sagte NDB. Basil behauptete, seine Leber sei ganz uninteressant. Aber NDB verbot ihm diese Bescheidenheit, behauptete, Basil habe eine hübsche Dreipfundleber, hübsch krank, eine mit einem goût, Moralistengoût, wahrscheinlich durch Pfortaderstauung, das führe zu Unterfunktionen, also zu Vergiftungserscheinungen, erste Zeichen einer späteren Zirrhose, die wiederum die Hormone für den Schwulen favorisiere, also da soll ihm keiner von einer uninteressanten Leber sprechen. Dieser Basil, verdient sich Geld und Moralistenruhm mit Hufe einer kranken Leber, und dann schmäht er sein Erfolgsorgan, höchst undankbar und schnöde. Basil versuchte, von sich abzulenken, er wollte einfach nicht mitspielen. Aber alle waren dafür, daß NDB jetzt mit Basil Schlupp spiele. Und NDB spielte mit Basil. Als Moralist macht Basil anderen Leuten Vorwürfe, sagte NDB. Ein musikalischer Mensch, trotzdem lebt er von Vorwürfen. Und sagt nicht dazu, daß die ihren Grund nicht in den Leuten haben, sondern in ihm selber, in seiner Leber. Das sei ein toller Trick. Ein Zirkusgag. Wie macht man das andauernd? Wie pflückt man aus der eigenen Leber lebenslänglich Krankheiten der Weit? Als Künstler interessiert er sich für den Trick.

Basil griff mit seinen weißen Händen in seine Haarhaube, riß sich ein kleines Büschel seines seidig schwarzen Gefieders aus, reichte es NDB hin und sagte: Bitte, spalten Sie ruhig weiter. Aber NDB sagte, mit Haaren gebe er sich nicht ab. Also Vivisektion, sagte Basil. Jetzt hat er begriffen, sagte Mack. Basil war aber kein guter Spieler. Er sagte knabenhaft ernst: Mit mir könnt ihr das nicht machen. Ich glaube, er täuscht sich, sagte Wollensak. Oder er unterschätzt uns, sagte Edmund. Neinein, Kinder, der glaubt, er hat keinen Humor, sagte NDB. Das kommt, weil er immer bloß Vorwürfe macht, so lernt er sich nicht kennen. Wenn ihr dafür seid, soll er jetzt seine Leber kennenlernen. Ja-ja-ja, schrieen wir, seine Leber!

Wir prosteten einander zu, tranken auf Basils zu erwartende Leber. Melanie schrie: Soll ich ihn frei machen, NDB sagte: Das muß er selber tun. Los, Hemd hoch, Schlüpfer runter. Aber Basil kriegte einfach nicht die rechte Laune. Er wurde ganz klein in seinem Sessel. Er verkroch sich geradezu. Sein Mädchengesicht wurde zusehends älter, er sah uns fast an, als wäre er schon eine alte Jungfer. Und dann passierte ihm etwas, das uns zeigte, wie weit er von der rechten Laune entfernt war. Er kriegte plötzlich das Nasenbluten, das ich vermieden hatte. Er hatte zwar rechtzeitig das Taschentuch an der Nase, warf auch sofort den Kopf weit zurück, trotzdem quoll Blut aus den Nasenlöchern, rann auf beiden Seiten zu den Mundwinkeln hinab und wurde dort vom Taschentuch verwischt, aber nicht weggewischt. NDB war sofort aufgesprungen. Interessant, sagte er. Jetzt sprangen wir alle auf, drängten uns um den auf der Sessellehne aufgebahrten Kopf, schauten hinunter auf das weiße Gesicht, die dicht rahmenden Haare, hinein in die Augen, die uns gar nicht anschauen wollten, die sich wegdrehten, aber überall, wo sie sich hindrehten, sahen sie über sich einen von uns, ein neugieriges Gesicht, also gaben sie diese Fluchtversuche auf und schlössen sich. Mack sagte: Amen. So, schrie NDB schier in Atemnot, jetzt gleich die Messe. Wild sang er uns vor. Das, was er selber NDB's Nationalhymne nennt.   - Martin Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main 1966

 

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