Lautréamont

An Lautréamont

Wo immer: ich begann zu graben, hoffend, du stiegest auf,
ich schob die Häuser, die Wälder beiseite, hinter sie zu schaun,
ich war imstande, eine ganze Nacht auf dich zu warten, bei offenen Türen und Fenstern,
vor mir zwei Gläser Alkohol, an die ich nicht rührte.
Aber du kamst nicht,
Lautréamont.

Um mich herum verhungerten Kühe an den Abstürzen,
hartnäckig wandten sie den gräserreichsten Prärien den Rücken,
die Lämmchen gingen still zurück in den Bauch der Mütter, die daran starben,
die Hunde verließen Amerika und blickten hinter sich,
sie hatten noch ein Wort sagen wollen vor der Abreise.
Allein geblieben auf dem Kontinent,
suchte ich dich im Schlaf, dort sind die Begegnungen leichter.
Man stellt sich an eine Straßenecke, und der andere kommt schnell.
Aber du kamst nicht einmal,
Lautréamont,
hinter meinen geschlossenen Augen.

Ich traf dich eines Tages auf der Höhe von Fernande Noronha,
du hattest die Gestalt einer Woge, aber wahrheitsliebender warst du und umsichtiger.
In kleinen Tagesreisen zogst du gen Uruguay.
Die anderen Wogen machten Platz, dein Unglück besser zu ehren.
Sie leben nur zwölf Sekunden und marschieren nur in den Tod:
sie ließen es dir ganz,
und du stelltest dich, als verschwändest du wie sie,
sie sollten glauben, du wärest ihr Weggenosse im Tod.
Du gehörtest zu denen, die den Ozean als Wohnung wählen, so wie andere unter den Brücken schlafen,
und ich, ich verbarg meine Augen hinter schwarzen Brillen
auf einem Dampfer, der nach Frau und Küche roch.
Die Musik stieg auf die Mäste, die der Tango wütend machte,
ich schämte mich meines Herzens, wo das Blut der Lebenden floß,
während du seit 1870 tot bist und ohne einen Tropfen Blut:
du nimmst die Gestalt einer Woge an, daß man glaubt, es sei dir einerlei.

Am Tag meines Todes sehe ich dich auf mich zukommen
mit deinem Menschenantlitz.
Du lustwandelst freundlich die Füße nackt in den hohen Himmelsschollen:

aber kaum bist du in richtiger Entfernung,
schleuderst du mir eine ins Gesicht,
Lautréamont.

- Jules Supervielle, nach (mus)

Lautréamont (2) Man muß die Farben finden, die Lewis im Mönch verwandte, um die Erscheinung des infernalischen Geistes zu beschreiben, diese Gestalt eines wunderschönen nackten Jünglings mit karmesinroten Flügeln, von einem antiken Hauch von Rosen umgeben, die Glieder in diamantene Reifen gefaxt, den Stern auf der Stirn und eine ebenso wilde wie scheue Melancholie im Blick; wie auch jene Farben, mit deren Hilfe es Swinburne gelang, uns die wahre Gestalt des Marquis de Sade vor Augen zu führen: »Mitten in der heroischen Kaiserzeit sieht man dieses vom Blitz getroffene Haupt lodern, diese breite, blitzdurchflammte Brust, den Phallus-Menschen mit dem majestätischen und zynischen Profil und dem Antlitz eines furchterregenden und göttlichen Titanen; man spürt gleichsam den Schauer des Unendlichen, der sich dieser fluchbeladenen Seiten bemächtigt, und auf seinen verbrannten Lippen das Beben des Hauchs eines gewittrigen Ideals. Kommt näher, und ihr hört in diesem schlammigen, blutigen Aas die Schlagadern der Weltseele pochen, seht die von göttlichem Blut geschwollenen Arterien. Diese Kloake ist ganz aus Azur...« Man muß, wie gesagt, zuerst diese Farben wiederfinden, um die von schwarzem Licht blendende Gestalt des Comte de Lautreamont in jenen außer-literarischen Bereich - und damit ist noch viel zu wenig gesagt - zu stellen, in den sie gekört. In den Augen mancher Dichter von heute haben die Chants de MaMoror und die i einen unvergleichlichen Glanz. Sie sind Ausdruck einer rückhaltlosen Enthüllung, die menschliche Kraft zu übersteigen scheint. Alles, was das heutige Leben ausmacht, sieht sich jäh verklärt. Sein Dekor liebäugelt mit den Versatzstücken königlicher Zeiten, die das saphirblaue Parkett sehen lassen; auf der Seine zieht die geflügelte und lächelnde Lampe mit dem Silberschnabel dahin; die grünen Membranen des Raums und die Läden in der Rue Vivienne sind den kristallinen Strahlen der Erdmitte ausgesetzt. Ein völlig ungetrübtes Auge lauert auf die wissenschaftliche Vervollkommnung der Welt, sieht über den bewußt utilitaristischen Charakter dieser Vervollkommnung hinweg und zeigt sie mit allem übrigen im Licht der Apokalypse. - André Breton, nach (hum)
 

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