Lauterkeit  Obwohl sie bisweilen die verschiedentlichen Zweckargumente der Pfarrer wiederholte, war ihr Glaube ebenso rein wie jenen Aufrechnungen von Geben und Nehmen abhold, die einem die katholische Religion zuwider machen. Mehr noch: sie konnte an die Geister der Verstorbenen glauben, an die ruhelosen Seelen, an die Gespenster, an das «Dreiundzwanziguhr-gespenst» und an andere Scherze, die man zu welcher Uhrzeit auch immer in Szene setzte, um sich über sie lustig zu machen. Man mag mich nicht mißverstehen: obwohl unschuldig wie das Himmelslamm, war sie im russischen Sinn des Wortes keine Unschuld. Nicht Mangel an Verstand oder übermäßige Einfalt machten sie zu dem, was sie war, das nicht; doch lebte in ihr eine Fähigkeit gleich der, die man den Dichtern zuspricht und die sie in den Augen des Pöbels lächerlich erscheinen läßt; so war für sie das Leben ein Gewebe aus magischen Bildern und die Welt eine Welt, auf der alles geschehen kann. Und so lauter war ihr Herz, daß sie den hartgesottenen Verwandten Anlaß zu einer finsteren Antonomasie bot. Denn für sie galten jene Wesen als Marie Giuseppe, die von ihrem Beichtvater beherrscht werden, jeder «Einsicht» verschlossen, also blinde Werkzeuge in der Hand derjenigen sind, die «allen Grund haben, das Volk in der Unwissenheit zu belassen», den «Vormarsch des Fortschritts», die «ungehinderte Verbreitung der Zivilisation» (und womöglich der Hygiene) und was weiß ich welcher anderer herzbewegender Dinge beeinträchtigen; alles in allem dumme Menschen, die in der Furcht der Hölle leben und überhaupt keines vernünftigen Gedankens fähig sind. Aber nein, meine bekümmerten Freunde, folgte sie doch nur ihrem inneren Gesetz, und was die Dummheit betrifft, so erkannte ich noch nie, mit noch ungewisser und zugleich mit euerer Freude, soviel triumphierend konfuse und überzeugte Vernunft (ohne daß ihr dies gemerkt hättet) wie in dem einfältigen Strahlen ihrer Seele.   - (land2)

Lauterkeit (2)  Sie war bis zur Unschicklichkeit dekolletiert. Ihr blondes Haar hatte unter der Deckenbeleuchtung einen mir unerträglichen Glanz.

Dennoch flößte sie mir ein Gefühl von Reinheit ein - sie behielt selbst in ihrer Ausschweifung eine solche Lauterkeit, daß ich mich manchmal ihr hätte zu Füßen legen mögen: davor hatte ich Angst. Ich sah, daß sie am Ende war. Sie war dem Umfallen nahe. Sie atmete schwer, sie atmete wie ein Tier: sie drohte zu ersticken. Ihr böser, gehetzter Blick hätte mich beinahe um den Verstand gebracht. Sie blieb stehen: unter dem langen Rock mußte sie gestolpert sein. Ganz gewiß sprach sie nun im Wahn.

Sie drückte auf die Klingel, um das Zimmermädchen zu rufen.

Kurz darauf kam eine recht hübsche Person mit rotem Haar und hellem Teint: sie schien vor einem an einem so luxuriösen Ort seltenen Geruch zurückzuprallen, dem Geruch eines billigen Bordells. Dirty konnte sich nur noch an die Wand gelehnt auf den Beinen halten; sie schien entsetzlich zu leiden. Ich weiß nicht, woher sie an jenem Tag das billige Parfüm genommen hatte, aber in dem unsäglichen Zustand, in dem sie sich befand, strömte sie überdies einen scharfen Schweißgeruch aus, der mit dem Parfüm gemischt an pharmazeutische Dämpfe erinnerte. Außerdem stank sie nach Whisky und rülpste . . .   - (bat)

 

Reinheit

 

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