aufbahn   Henry Avery paßt in kein modernes Piratenklischee. Er war eine Frohnatur, mittelgroß, ziemlich fett und ungepflegt. Nach Defoe wurde er 1653 in Plymouth geboren und diente einige Jahre in der Royal Navy, unter anderem als Fähnrich auf der Kent und der Rupert. 1694 wurde er Erster Maat auf der Charles, einem Freibeuter, der zu Raubzügen an den Küsten der spanischen Kolonien ausgeschickt wurde. Das Schiff lag mehrere Monate im Hafen von La Coruña, und die Mannschaft murrte, weil der Sold ausblieb. Am 7. Mai — der Kapitän schlief gerade einen Rausch aus — brachte Avery das Schiff mit einigen Gefährten in seine Gewalt.

»Ich bin nun Kapitän dieses Schiffes«, verkündete er. »Mein Ziel ist Madagaskar, und ich habe vor, dort mein Glück zu machen und auch das aller braven Männer, die mir gefolgt sind.«

Sie tauften das Schiff in Fancy um und segelten nach Süden. Bei den Kapverdischen Inseln kaperten sie drei englische Schiffe, und nahe der Insel Principe an der Westküste Afrikas brachten sie zwei Holländer auf. Anschließend umrundeten sie das Kap der Guten Hoffnung und kreuzten zur Nordostspitze Madagaskars, wo sie Anker warfen und an Land gingen, um dringend benötigten Proviant aufzunehmen. Avery hatte die Absicht, Schiffe der Pilgerflotte abzufangen, die jedes Jahr vom indischen Surat nach Mocha an der Einfahrt zum Roten Meer und dann nach Mekka hinauf segelten. Die Flotte war für Piraten ein fast ebenso attraktives Ziel wie die spanischen Schatzschiffe für die Bukaniere in der Karibik, denn mit den Pilgern reisten Kaufleute, die Gewürze und Tuche gegen Gold und Kaffee tauschten, Und der Großmogul und Herrscher Indiens ließ seine Schiffe in der Flotte der Pilger mitfahren.

Im September 1695 kreuzte Avery vor der Einfahrt zum Roten Meer. Die Fancy war inzwischen mit 46 Kanonen bestückt und hatte 150 Männer an Bord. In ihrer Begleitung waren mehrere andere Piratenschiffe, darunter die Pearl und die Portsmouth Adventure aus Rhode Island und die Amity aus New York. Das erste Pilgerschiff, das den Piraten in die Hände fiel, war die Fath Mahmamadi. Sie hatte Gold und Silber im Wert von über 50000 Pfund geladen! Ein paar Tage später sichtete Avery das Schiff, mit dem er ein Vermögen machen und seinen legendären Ruf begründen sollte. Die Ganj-i-Sawai (oder Gunsway, wie sie später genannt wurde) war das größte Schiff des Großmoguls. Sie war mit 40 Kanonen bestückt, und Kapitän Muhammed Ibrahim verfügte über 400 Musketenschützen, die das Schiff für einen Angreifer zu einem gefährlichen Gegner machten.

Avery hatte das Glück auf seiner Seite. Seine Piratenfiottille hielt auf die Ganj-i-Sawai zu und fällte mit einem der ersten Kanonenschüsse den Großmast. Dann explodierte ein Geschütz an Bord des muslimischen Schiffes, richtete an Deck ein Blutbad an und stiftete Verwirrung. Das Gefecht dauerte zwei Stunden. Als die Piraten längsseits gingen und das Schiff enterten, stießen sie zu ihrer Überraschung nur auf geringen Widerstand. Der indische Historiker Khafi Kahn berichtet, der Kapitän der Ganj-i-Sawai habe einige türkische Mädchen in Männerkleidung gesteckt und gezwungen, gegen die Piraten zu kämpfen. Er selbst sei unter Deck geflüchtet und habe sich im Laderaum versteckt.

Anderen Berichten zufolge befand sich neben einer Anzahl von Skiavinnen und vielen wohlhabenden Kaufleuten auch eine Tochter des Großmoguls mit ihrem Gefolge an Bord. Avery behauptete später, daß den Frauen kein Haar gekrümmt worden sei, doch ein Mitglied der Piratenbande gestand bei seinem Prozeß, daß die »entsetzlichsten Grausamkeiten« verübt worden seien. Alles spricht dafür, daß die Piraten auf den Schiffen, die beigedreht im Arabischen Meer lagen, tagelang plünderten, folterten und vergewaltigten. Sie erbeuteten bei dieser Orgie der Gewalt eine riesige Menge Gold und Silber, darunter 500000 Rial. Jeder Pirat erhielt aus der Beute einen Anteil von 1000 Pfund.

Nach der Eroberung dieser Prise beschloß Avery, seine kurze Laufbahn als Pirat zu beenden. Er ließ die anderen Schiffe zurück und segelte nach Westindien. Dort bestach er den Gouverneur von New Providence, damit er und seine Männer an Land gehen konnten, und schenkte ihm sein Schiff und Elfenbein im Wert von 1000 Pfund. Die Piraten trennten sich. Einige gingen nach Carolina, andere nach England. Sechs Mitglieder von Averys Besatzung wurden schließlich gefaßt. Im Oktober 1696 wurden ihnen im Londoner Old Bailey unter regem öffentlichen Interesse der Prozeß gemacht. Sie wurden zum Tode verurteilt.

Der Großmogul in Indien war empört über den Vorfall und forderte von der britischen Regierung die Bestrafung der Schuldigen. Doch Avery selbst wurde nie gefaßt. Man munkelte, er habe seinen Lebensabend als wohlhabender Mann auf einer tropischen Insel verbracht, doch wie es scheint, wurde er von Kaufleuten in Südwestengland um einen Großteil seiner Beute betrogen und beschloß seine Tage in der Ortschaft Bideford in Devon, Als er starb, war »sein Nachlaß nicht einmal den Sarg wert«. - David Cordingly, Unter schwarzer Flagge. Legende und Wirklichkeit des Piratenlebens. München 2001 (dtv 30817, zuerst 1995)

Laufbahn (2) JOHN PARTRIDGE, der Sohn eines biedren Fährmanns zu Putney in Surrey. Man brachte ihm Lesen und ein wenig Schreiben bey. Wurde Lehrling bey einem Schuhmacher, der ihn in seinem Handwerk zu großem Fleiß anhielt. Mit 18 verschaffte er sich Lillie's Grammatik und Goldmans Dictionair, und eine Lateinische Bibel, und Ovids Metamorphosen. Er ist von unermüdlichem Fleiß, und machte sich in wenigen Jahren zu einem competenten Meister der Lateinischen Sprache, gut genug zur Lectüre jedes Astrologischen Buches, und ward in jener Wissenschaft rasch zum Meister. Dann studirte er die Griechische Sprache, und auch das Hebräische, und keines blieb ihm fremd. Dann studirte er die guten Autoren der Medicin, und beabsichtigt diese zu seiner Profession & Thätigkeit zu machen — ist aber immer noch (1680) ein Schuhmacher in Convent Garden. - (aub)
 
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