andratte  Kabelgarn war ein unbeschriebenes Blatt, der als Landratte angeheuert hatte. Er war so ungewöhnlich furchtsam und ungeschickt, daß jeder Versuch zwecklos war, einen Matrosen aus ihm zu machen. So wurde er als Steward in die Kajüte geschickt, und der Mann, der bisher diesen Posten versehen hatte, ein guter Matrose, ging zur Mannschaft und übernahm seine Stelle. Aber das arme Garn erwies sich unter den Töpfen als ebenso tölpelhaft wie in der Takelung, und eines Tages war er bei einem Stampfen des Schiffes mit einer hölzernen Suppenterrine in die Kajüte gestolpert und hatte die Offiziere so verbrüht, daß sie eine Woche lang daran zu leiden hatten. Danach hatte man ihn abgesetzt, und er kehrte in das Vorderkastell zurück.

Nun verachtet man wohl niemanden so sehr wie eine hasenherzige, schläfrige, zu nichts brauchbare Landratte. Für einen solchen Menschen hat ein Matrose nicht eine Spur von Mitleid. Wenn ein solcher in vielen Beziehungen unnütz ist, so ist eine Schiffsmannschaft unter keinen Umständen geneigt, ihm aus seiner Unzulänglichkeit einen Vorteil zukommen zu lassen. Man betrachtet ihn als eine mechanische Kraft, und wenn irgendeine einfache schwere Arbeit zu tun ist, so wird er drangesetzt wie ein Hebebalken, und jeder achtet darauf.

Und dann wieder stellt man ihn an die niedrigsten Arbeiten. Ist ein schweres Stück zu teeren, so taucht man ihn Hals über Kopf in eine Teertonne, und er muß ran. Darüber hinaus muß er apportieren wie ein Hund. Schickt ihn der Maat nach seinem Quadranten, so begegnet er auf dem Wege dem Kapitän, der ihm aufträgt, etwas Werg zu zupfen. Während er dabei ist, ein Tauende zu suchen, kommt ein Matrose vorüber, fragt ihn, was zum Teufel er da sucht, und jagt ihn zum Vorderkastell zurück.

„Gehorche dem letzten Befehl!" ist auf See eine unumstößliche Vorschrift. So rennt die Landratte, die zu bange ist, etwas abzulehnen, verstört umher und tut gar nichts, und zu guter Letzt erhält er von allen Seiten Tritte und Püffe.

Zu seinen anderen Mühsalen kommt noch, daß man ihm selten gestattet, den Mund aufzutun, ohne daß er angesprochen worden ist, und auch dann täte er besser zu schweigen. Wehe ihm, wenn er zufällig sogar ein Witzbold ist, denn würde er sich zur unrechten Zeit einen Scherz erlauben, er würde das Ende davon nicht erleben.

Die Witzeleien der anderen muß er aber in der besten Laune über sich ergehen lassen.

Wehe ihm, wenn er bei den Mahlzeiten einen Blick auf die Fleischback wirft, ehe die anderen sich bedient haben.

Dann muß er den Sündenbock bei jeder Art Unheil spielen, während der wirklich Schuldige es ablehnt, sich zu melden. So bleibt ihm die Rolle des kläglichen Burschen „Niemand" an Land. Kurz, seiner Mühseligkeiten ist kein Ende.

Oft sinkt der Landratte der Mut, und das erste Ergebnis davon, daß er sich elend und miserabel fühlt, ist natürlich eine Vernachlässigung seiner Körperpflege.

Vielleicht sollten die Matrosen Nachsicht üben, aber hartherzig, wie sie sind, tun sie es nicht. Kaum werden Zweifel laut an seiner Sauberkeit, so stürzen sie sich auf ihn, wie im Mittelalter der Pöbel auf einen Juden, zerren ihn in die Leespeigatten und ziehen ihn nackt aus. Vergebens schreit er um Gnade, vergebens ruft er nach dem Kapitän um Hilfe.

Wehe, kann ich nur immer wieder sagen, jeder Landratte auf See! Sie ist der ärmste Wicht auf dem ganzen weiten Weltmeer. Und so ging es dem Kabelgarn, von allen Landratten war er am kläglichsten und erbärmlichsten dran. Ein verlassenes, verkrüppeltes häßliches Wesen war er überdies, einer von denjenigen, denen man es auf den ersten Blick ansieht, daß sie lange und stark im Ofen des Leides geröstet worden sind. Sein Gesicht war ein völliges Rätsel; obgleich scharf und bleich, besaß es weder die Runzeln des Alters noch die Glätte der Jugend, so daß ich für mein Leben nicht hätte sagen können, ob er fünfundzwanzig oder fünfzig Jahre alt war. - Herman Melville, Omoo. Abenteuer in der Südsee. München 1970 (zuerst 1847)

Seemann Ratte

 

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