äuterung Torrismund blieb im Lager der Gralsritter. Er gab sich redliche Mühe, etwas zu erlernen, seinen Vätern oder Brüdern (er wußte nicht recht, wie er sie nennen sollte) nachzueifern; er suchte jede Regung seines Geistes zu ersticken, die ihm zu persönlich schien, suchte ganz in der Gemeinsamkeit mit der unendlichen Liebe zum heiligen Gral aufzugehen; er konzentrierte sich darauf, auch das kleinste Anzeichen jener unaussprechlichen Empfindungen zu beachten, die die Ritter in Ekstase brachten. Doch die Tage vergingen, ohne daß seine Läuterung auch nur den geringsten Fortschritt gemacht hätte. Alles, was ihnen am besten gefiel, stieß ihn ab: jene Stimmen, jene Melodien, jene unentwegte Bereitschaft, in Schwingung zu geraten. Und vor allem wurden ihm diese Brüder im ständigen Umgang immer unsympathischer: in ihrem Harnisch ohne Beinschienen und dem Goldhelm wirkten sie halbnackt, waren von milchweißer Hautfarbe, einige von ihnen schienen schon älter zu sein, andere wiederum waren zarte, sentimentale, eifersüchtige, empfmdliche Jünglein. Und schließlich diente jene Geschichte, der Gral sei es, der sie bewege, als Vorwand für jegliche Ausschweifung; dabei maßten sie sich noch an zu behaupten, immer rein geblieben zu sein.
Der Gedanke wurde unerträglich, daß er selbst auf diese Weise gezeugt worden
sein könnte, mit ins Leere stierenden Augen, ohne daß sich seine Erzeuger auch
nur im geringsten darum kümmerten, was sie da taten, und es sogleich vergaßen.
- (
ritt
)
Läuterung (2)
Läuterung (3)
Vladimir war ein Künstler und Mensch, der jeden Tag für sich allein
eine ernsthafte Abrechnung mit seiner Moral vornahm. Genauso wie er an einem
Tag sein ganzes Geld auf den Kopf hauen konnte, um sich zuletzt die fünfzig
Heller für die Straßenbahn zu pumpen, so vermochte er seine Emotionen, seine
verdrängten Wünsche nicht zu unterdrücken. Er konnte sich den Luxus unterdrückter
Verzückungen nicht leisten. Mit seiner ganzen Persönlichkeit mußte er alles,
was er gegen die Gesellschaft und gegen sich selbst hatte, schnellstens in Bewegung
setzen, um sich zu läutern, um sich zu heilen, um ohne ein Gefühl der Schande
und Beleidigung, die ihm die anderen zugefügt hatten, weiterleben zu können.
Augenblicklich mußte er sich ins Verhör nehmen, mußte er sich überprüfen, die
automatische Sprache verwenden. In diesen Augenblicken großen Überdrucks der
moralischen Situationen schnitt er seine Friedensaufrufe In Linoleum, schrieb
er die endlosen Briefe, in denen er sich rechtfertigte oder er griff wie ein
Besessener an, in diesen Augenblicken mußte er sein Unterbewußtsein entleeren,
um rein zu sein. Und in eben diesem Reinigungsprozeß lag sein Adel. Vladimir
kannte also den Treppenwitz nicht, der darin bestand, daß man nach dem Gericht,
auf der Treppe und später auf dem Heimweg, aussprach, was man im Gerichtssaal
hätte sagen sollen. Vladimir mußte alles gleich und jetzt von sich geben. Allerdings
glückte das nicht immer. Daher sein großes Geschrei und Gebrüll, daher seine
brachialischen Aggressionen. Vladimir brachte es fertig, eine fast zentnerschwere
Platte hochzuheben und wie eine Schlagschere zu schwenken, Vladimir brachte
es fertig, auf dem Konstanzer Platz, oben im fünften Stock, den schweren gußeisernen
Ofen zu packen, damit in den Keller hinunterzulaufen und ihn wieder spielerisch
heraufzutragen und an der Stelle abzusetzen, wo er ihn aufgenommen hatte. Deshalb
brauchte Vladimir in den Pausen in der Fabrik, auf dem Heimweg von der Arbeit
die Schar seiner Lehrlinge, deshalb brauchte er seine Kneipe und den Tisch der
Biertrinker, um sich mittels des Gesprächs zu reinigen und in die Nullsituation
seiner Moralttät zu versetzen. Und deshalb, wenn er vor einer Matrize, vor den
Platten aus Duralumin und Kupfer stand, deshalb konnte er seine Arbeit beginnen
wie ein Priester die Frühmesse, nachdem er gefastet hatte. Zu vermuten ist,
daß Vladimir alles, was er in sich trug, ja das alles in seinen Fleckchen-Serien
ausdrückte, indem er sich ein Fingergelenk oder eine Fingerkuppe ritzte und
mit seinem Blut assoziative Dekalks, also Abziehbilder, auf Papierstückchen
druckte, um danach mit dem Bleistift die entsprechenden Formen in den passiven
Abdrücken nachzutragen und sie auf diese Weise zu aktivieren, um seine Schicksalszeichen
einzufügen, denn wie man das menschliche Schicksal aus schwarzem Kaffeesatz,
aus Sand, aus den Kraftlinien der menschlichen Hand zu lesen vermag, so benutzte
Vladimir die aktive Graphik, um mit den ihm eigenen Ausdrucksmitteln eines Werkzeugmachers
die Fläche einer Matrize so lange unter dem Blickwinkel einer bestimmten Ergriffenheit
rhythmisch zu verletzen, bis er den Rest seines Unterbewußtseins in die Matrize
hineingesprochen hatte, ohne vom Baugesetz der goldenen Schnitte und von den
Gesetzmäßigkeiten der ästhetischen Normen abzurücken. Erst durch die aktive
Graphik fand Vladimir das Geheimnis, wie man zum Kinde wird, zum Kind, das auf
der Schwelle eines nicht mehr verschlossenen Hauses spielt, bei offener Tür,
durch die man das Wesen der Dinge wie der menschlichen Ereignisse und Schicksale
erblickt, ohne von Platos Wort zu wissen, daß
allein das bis ans Ende, bis zum Scheitelpunkt geschleppte Individuum
das Wesen entdecken kann. -
Bohumil Hrabal, Ein Dandy im Schlosseranzug. In: B. H., Leben ohne
Smoking. Frankfurt am Main 1993
Läuterung (4) Seit mehreren Jahren hatte niemand die Watrous gesehen, als plötzlich - man könnte sagen, mitten in ein fürchterliches Schnarchen hinein - Grover hereinstolziert kam, mit Dankgebeten um sich warf und Gott zum Zeugen anrief, wahrend er seine Hemdsärmel hochkrempelte, um uns vom Bösen zu befreien. Was mir als erstes an ihm auffiel, war die Veränderung seines Äußeren: er war im Blute des Lammes reingewaschen worden. Er war so makellos, daß fast ein Wohlgeruch von ihm ausging. Audi seine Sprechweise war gereinigt; statt wilder Flüche gab es nun nur noch Dank- und Segenssprüche. Er führte kein Gespräch mit uns, sondern hielt einen Monolog, bei dem er, wenn es irgendwelche Fragen gab, diese selbst beantwortete. Kaum hatte er auf dem angebotenen Stuhl Platz genommen, legte er los mit seinem: Gott habe seinen einzigen geliebten Sohn hingegeben, daß wir das ewige Leben gewännen. Wollten wir wirklich dieses ewige Leben erreichen - oder uns nur in den Freuden des Fleisches suhlen und ohne Erlösung sterben? Die Ungereimtheit, von <Freu-den des Fleisches> zu zwei betagten Eheleuten zu sprechen, von denen der eine fest schlief und schnarchte, kam ihm gar nicht zum Bewußtsein. Er war überlebendig und jubilierte im ersten Hauch von Gottes allgütiger Gnade, daß er vergessen haben mußte, daß meine Schwester nicht alle beisammen hatte, denn ohne auch nur zu fragen, wie es ihr inzwischen ergangen sei, hielt er ihr in seinem neugefundenen geistlichen Palaver eine Ansprache, die sie gar nicht begriff: denn es fehlten ihr, wie gesagt, so viele Schräubchen, daß es ihr genausoviel bedeutet hätte, wenn er über gehackten Spinat gesprochen hätte. Was bedeutete für sie schon eine Phrase wie «die Freuden des Fleisches»? Soviel wie ein schöner, warmer Tag mit einem roten Sonnenschirm. An der Art, wie sie auf der Stuhlkante saß und mit dem Kopf wackelte, merkte ich, daß sie nur darauf wartete, daß ihm der Atem ausging, um ihm zu berichten, daß der Pfarrer - ihr Pfarrer, der der Episkopalkirche angehörte - soeben aus Europa zurückgekehrt sei und daß man demnächst einen Basar im Erdgeschoß der Kirche eröffnen, und sie dabei einen kleinen Stand mit Deckchen aus dem Einheitspreisgeschäft führen würde. Kaum hielt er einen Augenblick mne, legte sie auch schon los: über die Ka--;j näle von Venedig, den Schnee in den Alpen, die Dogcarts in' Brüssel und die schönen Leberwürste in München. Sie, meine Schwester, war nicht nur religiös, sondern rundheraus verrückt. Grover hatte gerade so etwas eingeworfen wie, er habe einen neuen Himmel und eine neue Erde gesichtet... denn der erste Himmel und die erste Erde seien dahin, sagte er, wobei er die Worte in hysterisch getragenem Ton murmelte, um sich eine orakelhafte Botschaft von dem Neuen Jerusalem von der Seele zu reden, das Gott auf Erden aufgerichtet habe und in dem er, Grover Watrous, einst mit böser Zunge und einem Klumpfuß behaftet, den Frieden und die Ruhe des Gerechten gefunden habe. «Es wird keinen Tod mehr geben!» wollte er gerade ausrufen, als meine Schwester sich vorbeugte und ihn ganz unschuldig fragte, ob er gern kegle, denn der Pfarrer habe soeben eine schöne neue Kegelbahn im Keller der Kirche eingerichtet, und sie wisse, er würde sich freuen, Grover zu sehen, denn er sei ein prächtiger Mensch und gütig zu den Armen. Grover erklärte, es sei eine Sünde, zu kegeln, und er gehöre keiner Kirche an, denn die Kirchen seien gottlos; er habe sogar das Klavierspielen aufgegeben, weil Gott ihn zu Höherem bestimmt habe. «Wer sich selbst überwindet, soll aller Dinge teilhaftig werden», fügte er hinzu, «und ich bin sein Gott, und er wird mein Sohn sein.» Als er wieder innehielt, um sich die Nase in einem schönen weißen Taschentuch zu schneuzen, ergriff meine Schwester die Gelegenheit, ihn daran zu erinnern, daß ihm früher immer die Nase gelaufen sei, er sie sich aber nie geputzt habe. Grover hörte ihr sehr ernst zu und bemerkte dann, daß er von vielen bösen Fehlern geheilt sei. In diesem Augenblick erwachte der Alte, und als er Grover in voller Lebensgröße neben sich sitzen sah, war er ganz erschrocken, und einen oder zwei Augenblicke schien es ihm nicht sicher, ob Grover eine krankhafte Traumerscheinung oder eine Sinnestäuschung war, aber der Anblick des sauberen Taschentuchs brachte ihn rasch zur Besinnung. «Ach, Sie sind's!» rief er aus. «Der junge Watrous, was? Was bei allen Heiligen tun Sie denn hier?»
«Ich kam im Namen des Allerheüigsten», sagte Grover unverfroren. «Ich wurde
durch den Tod von Golgatha geläutert und bin hier im süßen Namen Christi, auf
daß ihr erlöst werdet und in Licht, Glanz und Glorie wandeln möget.» - (wendek)
|
||
|
||