Lachfältchen   Manchmal wissen wir halt nicht mehr, wie's weitergehen soll. Wenn zwei beieinander sind, die sich nicht mehr helfen können, dann wird das bisserl Haushalt zu einer fast unerträglichen Belastung, besonders wenn man jeden Pfennig dreimal umdrehen muß. Lisette, die das sagt, ist 76. Kurz vor dem Krieg verlor sie ihren Mann, mit dem sie ein armseliges, arbeitsreiches Leben geführt hatte. Die beiden Kinder, von Verwandten aufgezogen, kümmern sich nicht um die Mutter. Kurz nach dem Krieg traf sie einen ehemaligen Arbeitskollegen, mit dem sie während der schweren Jahre bei der Wach- und Schließgesellschaft gearbeitet hatte, wieder. Da auch seine Frau inzwischen gestorben war und Joseph ebenfalls keine Angehörigen hatte, taten sich die beiden alten Leute zusammen. Sie bewohnten seit fast 20 Jahren eine winzige Wohnung im Osten Münchens. Der Sepp, erzählt die weißhaarige Frau, deren Gesicht viele Lachfältchen hat, ist jetzt 89. Aber er hat noch immer a Gaudi im Kopf und macht seine Spaßettln. Er hat bis kurz vor seinem 85. Geburtstag als Kanalbauer gearbeitet, obwohl er schon mit 54 nach einem Unfall vollinvalid geschrieben wurde. Jetzt hilft er mir im Haushalt, wo er nur kann. Solche Hilfe ist nötig, denn Lisette ist fast blind. In der Ferne zeigen ihr die Dinge der Umwelt noch Konturen, in der Nähe werden sie zu kaum wahrnehmbaren Schatten. Und auch dieser Rest Sehkraft wird von Tag zu Tag schwächer. Dazu kommt ein Bandscheibenleiden, das jede Bewegung zur Qual macht, dazu kommen Kreislaufschäden und Herzschwächen. Lisette bemüht sich verzweifelt, ihr winziges Reich sauber zu halten. Sie besitzt einen Spezialausweis, auf dem die Medikamente stehen, Desinfektionsmittel, Haushaltsartikel verzeichnet sind, mit denen sie einer chronischen Allergie wegen nicht in Berührung kommen darf. Dazu gehören die meisten Putzmittel, dazu gehören auch Blumen und Tannengrün. Deswegen ersetzt ein kleiner Plastikständer mit vier Engelchen den Adventskranz. Wir werden uns am Heiligen Abend ein Stückerl Fleisch leisten und wie jeden Tag um halb sieben ins Bett gehen. Dann machen wir noch ein bisserl den Radio an. Seit ich nichts mehr lesen kann, muß der Radio dafür sorgen, daß wir wissen, was auf der Welt passiert.  - (acht)
 
 

Lachen Falten

 

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