abyrinth,
törichtes
Nehmen wir an, daß, so unwahrscheinlich es sein mag, folgendes geschieht:
daß ein Labyrinth aus Altersschwäche, vor Siechtum oder Wahnsinn nichts mehr
von seinem Wesen und seiner Gestalt weiß; würde das etwa heißen, man käme nicht
mehr aus ihm heraus? Nicht unbedingt, meiner Ansicht nach; und vielleicht wäre
es nicht schwieriger als bei einem anderen Stand der Dinge. Denn sicherlich
würde folgendes geschehen: es würde keine Indizien mehr geben, die sich als
solche anbieten, alle Zeichen haben dieselben Eigenschaften, die Wegangaben können
weder falsch noch richtig sein; und das Labyrinth hat schließlich in seiner
vollkommenen Unwissenheit über sich selbst aufgehört zu lügen und zu trügen.
Trotzdem kann das nicht das Schlimmste sein; denn das bewußte Labyrinth kann
nichts anderes, als grausam auf seine Ränke bedacht sein, es wird abwechselnd
verschiedenen Zeichen entgegengesetzte Bedeutung verleihen, es wird kunstvoll
Indizien und Spuren vermischen, es wird Hinweise geben: richtige als richtige
und als richtige, hinter denen man falsche vermuten muß, und falsche, die als
richtige zu verstehen sind, und falsche, die so falsch erscheinen, daß sie einem
schon wieder richtig vorkommen; ein bewußtes Labyrinth ist schließlich ein gelassener,
schlauer Feind, der gerissen argumentiert, ein Sophist, ein Stratege, der Hinterhalt,
Fallen und Überfälle ausheckt; während das törichte Labyrinth arglos ist, und
da es in seiner Unwissenheit weder betrügen noch, sich selbst verleugnend, beistehen
kann, ist es ein bares, verschlungenes, passives Etwas, ein gleichgültiges Spinnennetz,
und ich bin, ob ich nun weitergehe oder nicht, jeglicher Deutung oder Ideologie
des Labyrinths enthoben; es könnte natürlich sein, daß dieser Zustand in seiner
zufälligen Zerstreutheit von der Aufgabe ablenkt, das Labyrinth wie auch immer
zu begehen; und ich möchte meinen, daß es dann mir und sonst niemandem zukommt,
die Theorie des Labyrinths zu bewahren und, indem ich es begehe, umherirrend
oder zielbewußt, über seiner Würde zu wachen, indem ich ihm durch meine Niederlage
seine Ungeheuerlichkeit und seine Quälerei oder durch meinen Erfolg seine erbärmliche
Heilsberufung zurückerstatte. - Giorgio Manganelli, Labyrinth. In: (
irrt
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