abor  Dies schwarzgebundene buch ist das gefürchtete Nekronomikon, nätürlich des wahnsinnigen Abu al-Hazred, Carmillas neue mutter!.. Also wird Drakula, natürlich vater seiner eigenen verruchten großmutter. Um das unheilige gebrodel roter retorten fliegt, gleich goldbesprengtem Weihrauch, feines blondhaar. Ein duft nach moder und frischem sperma durchflutet das labor. Aus den gekachelten wänden lösen sich rosen und scheußliche skorpione. Der graf zertritt jene und schnuppert an diesen.

Carmilla erhebt sich nackt aus dem sarkophag, ihr fleisch ist noch etwas bleich, die spitzen ihrer brüste sind mit entweihten nadeln durchbohrt..  - H. C. Artmann, Drakula Drakula. Ein transsylvanisches Abenteuer. München 1997 (zuerst 1965)

Labor (2)  Am Abend entschloß ich mich, meine Freunde im Club zu besuchen. Bei meinem Eintritt ins Laboratorium begrüßte mich ein infernalisches Gebrüll, das mir das Herz erwärmte. Mitten in den Raum hatte man einen, Tisch als Altar gestellt; er war mit einem Totenkopf geschmückt, den man vor einem riesigen Chemikalienglas mit Zyankali placiert hatte; daneben eine aufgeschlagene, mit Punschflecken übersäte Bibel: Die Blätter wurden von einer als Zeigestock dienenden chirurgischen Sonde festgehalten, und hier und da steckten Kondome als Lesezeichen.

Drumherum Punschgläser, die aus einer Retorte gefüllt wurden, und die Freunde dabei, sich zu besaufen! Nachdem man mir einen Halbliterkolben gereicht hatte, den ich auf der Stelle austrank, stießen sämtliche Mitglieder der Runde das Motto des Clubs aus: »Fluch!« Worauf ich zur Antwort die Hymne der Lüstlinge anstimmte:

Saufen
Huren
Das ist der wahre Sinn des Lebens!
Saufen
Huren
Das ist der einzige Sinn des Lebens!

Nach diesen Präliminarien ertönt ein allgemeiner Aufschrei, man brüllt wild, und unter Beifallsrufen lasse ich meine wohlbekannten Blasphemien hören. In klingenden Versen und in anatomischen Begriffen wurde die Frau als Personifikation des männlichen Unvermögens glorifiziert, sich auf eigene Faust zu amüsieren. Ich berausche mich mit rohen Worten und Schmähungen der Madonna, ein krankhaftes Produkt unbefriedigter Triebe. Mein ganzer Haß auf das treulose Idol bricht so heftig aus mir hervor, daß ich eine bittere Tröstung erfahre. Die Kameraden, die armen Teufel, die die Liebe nur aus dem Bordell kennen, johlen vor Vergnügen, als sie hören, wie ich die Damen der Gesellschaft, die für sie unerreichbar sind, mit Schmutz bewerfe. Der Rausch steigert sich. Ich genieße es, männliche Stimmen zu hören, nachdem ich monatelang nichts als sentimentales Miauen, Ergüsse falscher Ehrbarkeit und heuchlerischer Unschuld gehört habe. Es ist, als ließe man die Maske fallen, als könnte man all die Scheinheiligkeit ausspeien, hinter der sich die Liederlichkeit verbirgt, und ich sehe im Geiste, wie die Angebetete sich all den Exzessen der ehelichen Liebe hingibt, um die Sorgen einer unleidlichen Existenz zu verjagen. Gegen sie, die Abwesende, richte ich die Gemeinheiten, den Auswurf, die Beleidigungen, in machtloser Raserei, sie nicht besitzen zu können, obwohl das Verbrechen mir dennoch widerstrebt.

Das Laboratorium stellt sich meinen erregten Sinnen in diesem Augenblick als eine gewaltige Orgie der verschiedensten Empfindungen dar. Auf den Regalen leuchten Gläser in allen Farben des Regenbogens; im Rot der Mennige, im Orange des Kaliumsalzes, im Gelb der Schwefelblüte, im Grün des Grünspans, im Blau des Vitriols. Die Luft ist verpestet vom Tabakrauch, von den Dämpfen des Arrakpunschs mit Zitrone, der vage Empfindungen auslöst, fast wie Erinnerungen an ferne Länder; das mit voller Absicht in irgendeiner willkürlichen Tonleiter gestimmte Klavier malträtiert den Trauermarsch Beethovens derart, daß man nur noch den Rhythmus wahrnimmt; die bleichen Gesichter der Saufbrüder wiegen sich im bläulichen Nebel des Tabakrauschs; die goldene Schärpe des Leutnants, der schwarze Bart des Doktors der Philosophie, die Hemdbrust des Arztes, der Totenkopf mit den leeren Augenhöhlen, das Gejohle, der Lärm, die unglaublichen Dissonanzen, die ekelerregenden Bilder, die ausgelöst werden, das alles vermengt sich in meinem entzündeten Gehirn, als plötzlich ein Appell, ein einziger, einstimmig ertönt: »Zum Hurenhaus!«   - (plaed)

Labor (3)  Das Laboratorium des Vaters war einfach. Einige Stücke autgespulten Drahts, ein paar Büchsen mit Säure, Zink, Blei und Kohle — das war die ganze Werkstatt dieses wunderbaren Eso-terikers. »Die Materie«, sagte er, die Augen züchtig gesenkt, unter gedämpftem Schnauben, »die Materie, meine Herren . . .« Er sprach den Satz nicht zu Ende, erlaubte sich zu vermuten, daß er einem groben Streich auf der Spur war und daß wir alle, wie wir dasaßen, ordentlich angeführt worden seien. Mit gesenkten Augen verspottete der Vater leise diesen uralten Fetisch, »panta rhei!« rief er und deutete mit einer Bewegung der Arme das ewige Kreisen der Substanz an. Seit langem begehrte er die in ihr verborgene Kraft zu mobilisieren, ihre Steifheit flüssig zu machen und ihr Wege in die Alldurchdringlichkeit, in die Transfusion, in die Allzirkulation zu bahnen, die einzig ihrer Natur eigentümlich war. »Principium individuationis furda«, sagte er und brachte damit seine grenzenlose Verachtung für dieses oberste menschliche Prinzip zum Ausdruck. Er warf es so nebenbei hin, lief einen Draht entlang, schloß die Augen und drückte mit einer zarten Berührung an verschiedenen Stellen des Apparats, um die winzigen Unterschiede in den Spannungen wahrzunehmen. Er kerbte den Draht ein, horchte — und schon war er zehn Schritte weiter, um diese Tätigkeit an einer anderen Stelle des Apparats zu wiederholen. Er schien zehn Hände und zwanzig Sinne zu haben. Seine zerstreute Aufmerksamkeit arbeitete an hundert Stellen gleichzeitig. Kein Punkt des Raums war vor seinem Verdacht sicher. Er neigte sich, den Draht anstechend, an irgendeiner Stelle über den Apparat und schoß mit einer plötzlichen Bewegung wie ein Kater an die gewählte Stelle und puddelte beschämt herum. »Entschuldigen Sie«, sagte er, sich plötzlich in einen erstaunten Seher verwandelnd, »entschuldigen Sie, es geht mir eigentlich um dieses Stücklein Raum, das Sie mit Ihrer Person einnehmen; möchten Sie nicht einen Augenblick wegrücken?« Und er führte eilig seine minutiösen Messungen aus, gewandt und geschwätzig wie ein Kanarienvogel, indem er geschickt auf den Zuckungen seiner sympathetischen Nerven hin und her sprang.   - Bruno Schulz, Der Komet. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966

Labor (4)   I hatte an diesem Morgen ohnehin nicht aufstehen wollen. Er hockerte jetzt in dem Nebel, der von draußen hereinkam und sich mit dem Salmiaknebel*) des Saales mischte. Fensterlack war abgeblättert, die Fenster schlössen schlecht. Alles war verreckt: die Dampfheizungsradiatoren, die klappernden graugrünen Abzüge, von denen man schon Jahrzehnte Reaktionsgeschichte abkratzen konnte, &e glubbernden Ausgüsse, die Doppelgashähne bei jedem Arbeitsplatz und bei den Sonderplätzen, die offen zutageliegenden Kabel an der Decke, auf denen die Fliegen kopfüber wie negative Vögel spazierten, offener Himmel mit Schnürboden fürn deus ex machina. Auf dem Gang das geheimnisvolle Zimmer: „SCHIESSOFEN". Welt aus merkwürdigem Material, Glas, das unter Heiß-Kalt-Schocks nicht sprang, Porzellan, dünnes, das in der Glut ganz durchsichtig wurde, Metalle, die es sonst nur im Lexikon gab, hier in dicken Pulverflaschen wie gewöhnlicher Eisenstaub zu löffeln. Ritualien: Absaugen letzter Feuchtigkeit durch ein Glaspümpchen am einfachen Wasserhahn; zwangsneurotische mehrfache Reinigungen; Auschromen (Vernichten jeder Fettspur durch Ausschwenken mit ätzender orangebrauner Tunke); Filterverbrennen nahezu aschenfrei; Platinnadeln ausglühen; durch blaue Gläser Flammenfärbungen verfolgen, bei rosa aufjubelnd: KALIUM!; Aufschäumen beobachten, riechen obs schwefelt, sich dann in den STINKRAUM zurückziehen ... All die heiligen unvergeßlichen Gerüche, die scharfen, die stumpfen, die metallharten, die aromatischen, die undeutlichen, die tödlichen. Alles dreimal bei geschlossenen Türen in kleinen Trappistenzellen, in denen man nichtmal niesen durfte abwägen, alle drei Male in ein Heft eintragen, aus dem nichts herausgerissen werden durfte; selbst 2x2 logarithmisch errechnen. Nicht umsonst sagte ein alter Hase: spätestens im dritten Semester wird jeder Chemiker sonderlich.

Vorderhand aber kränkte sich I noch, wenn die Älteren ihn wie einen störenden Laborhocker aus dem Weg rückten oder seinen Bunsenbrenner abdrehten, vorderhand sah er es noch als das Fernziel eines Chemikers an, bei genügender Bewährung endlich Eise ansprechen zu dürfen, das Laborkatzenreh. Ihr Arbeitsplatz brannte, die Kollegen sagten, es wäre das Methanol gewesen, I aber wußte, daß es seine Liebe war.

* In jedem Anfängerlabor gibts Salzsäure und Ammoniak; wenn verkleckerte Tropfen der beiden, auch meterweit voneinander entfernt, verdunsten, schwebt zwischen ihnen bald Nebel.

  - (met)

Labor (5)

Labor (6)  An einem frühen Morgen unter dem Lichtbogen einer Lampe, vorsichtig, schweigend, in weißem Kittel und Gummihandschuhen, verpflanzte der Arzt den Kopf einer Katze auf den Rumpf eines Huhnes. Das kat-zenköpfige Geschöpf schwankte auf seinen Beinen in einem gläsernen Haus; obwohl es aus seinen geschlitzten Augen in die Welt starrte, sah es nichts; das Flattern eines fremden Pulses war unter seinem Fell und seinen Federn; und als es den rechten Fuß, der neben der Glaswand stand, hob, schwankte es nach links. Wenn man das Geschlecht eines Hundes verändert, dann schreit er wie eine Hündin in der Brunftzeit und beschnuppert erstaunt die blinden Jungen, die man ihm hinlegt. Solch ein seltsamer Hund mit eingepflanztem Eierstock heulte in seinem Käfig. Der Arzt legte das Ohr ans Glas und hoffte auf einen neuen Ton. Die Sonne wehte durch die Fenster ins Laboratorium, und das Licht des Windes hatte die Farbe der Sonne. Mit Musik in den Ohren bewegte er sich zwischen seinen Phiolen und Flaschen voll Leben umher. Die Verstümmelten waren still, die Neugeborenen in den Kaninchenkäfigen sogen freudig die hygienische Luft in ihre Lungen ein. Das Wiesel am Fenster würde morgen ein Geschwulst im Ohr bekommen, aber heute hüpfte es noch in der Sonne.

Der Hügel war so groß wie ein Berg, und das Haus schwoll an wie ein Hügel auf dem höchsten Gipfel. Das Haus, das zu viele Zimmer hatte, hatte auch ein Zimmer für die wilden Eulen und einen Keller für das Ungeziefer, das sich auf dem sauberen Stroh vermehrte und fett wurde wie Kaninchen.  - (echo)

 

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