Das große Schweine-Schlachten


oder:

Ein Versuch, den Erfolg des Henning Mankell zu verstehen

 

"Herr Doktor, ich spüre in mir immer den Drang,
anderen zu helfen!" -
"Ja mein Lieber, ich habe mir gleich gedacht,
daß in Ihnen ein kleiner Sadist steckt."

Oder auch:
Ich empfehle allen Märtyrern, zu überlegen,
ob nicht die Rachsucht sie zum Äußersten trieb. - Friedrich Nietzsche

 

Racheengel, mörderisch

 Die folgenden Bemerkungen basieren auf der Lektüre von "Mörder ohne Gesicht", "Hunde von Riga", "Die fünfte Frau", "Falsche Fährte", Die weiße Löwin" - das sollte ausreichen.

Es gibt zwei verschiedene Muster bei Mankell: Die sozusagen "weltweiten" Kriminalromane, die größtenteils außerhalb Schwedens spielen (Hunde von Riga, Weiße Löwin) und die schwedischen, die der Autor aber auch für "weltweit" hält.
Das Folgende bezieht sich hauptsächlich auf die letzteren; bemerkenswert ist u. a., daß die sadistischen Phantasien, die für M. charakteristisch sind, sich vorwiegend im zweiten Muster finden - aber nichht nur ... .

Ein Waschzettel zu Mankells Kriminalromanen:  »Mankell schafft es, trotz der Abscheulichkeiten der Verbrechen ... den Impuls der Rachegelüste zu neutralisieren. Und statt des Schwelgens in gräßlichen Blutbädern das Verlangen des Lesers nach Erklärung zu wecken.« (Ingeborg Sperl im >Standard<, Wien, Österreich).

Was man zuallererst in diesen Romanen immer wiederfindet, ist ein penetrantes Gefühl von Überforderung und Desorientierung bei Wallander, Mankells Detektiv und Alter Ego (der Autor ist vom selben Jahrgang wie sein "Held"...):

"Er stellte sich die trostlose Frage, was das eigentlich für eine Welt war, in der er lebte, In der junge Menschen sich selbst verbrannten oder auf andere Art und Weise versuchten, sich das Leben zu nehmen. Er kam zu dem Ergebnis, daß sie mitten in einer Epoche lebten, die man die Zeit des Scheiterns nennen konnte. Sie hatten an etwas geglaubt und es aufgebaut, doch es erwies sich als weniger haltbar, als sie erwartet hatten. Sie hatten gemeint, ein Haus zu bauen, während sie in Wirklichkeit mit der Errichtung eines Denkmals beschäftigt waren für etwas, das bereits vergangen und fast vergessen war. Jetzt fiel Schweden um ihn her in sich zusammen wie ein gigantisches Regalsystem, und niemand wußte, welche Zimmerleute draußen im Flur standen und darauf warteten, mit von der Partie zu sein, wenn neue Regale aufgestellt wurden. Alles war so unklar, außer der Hitze und dem Sommer. Junge Menschen nahmen sich das Leben oder versuchten es zumindest. Menschen lebten, um zu vergessen, nicht um sich zu erinnern. Wohnungen waren eher Verstecke als traute Heime. Und die Polizei stand stumm herum und wartete auf den Tag, an dem die Arrestzellen von anderen Männern in Uniform bewacht werden würden, den Angestellten privater Wachgesellschaften.

Wallander wischte sich den Schweiß von der Stirn und entschied, daß es jetzt genug war."

Das erste Zitat stammt aus "Die falsche Fährte"; in jedem Roman Mankells gibt es mindestens eine derartige larmoyante (und unpräzise) Klagerede. ("... ein Land wie Schweden, das sich in eine unbekannte und nicht überblickbare Richtung entwickelte.." Hunde von Riga).  

Und nicht nur die allgemeinen Weltverhältnisse sind  so, sondern auch die besonderen: in dem genannten Roman hat sich gerade Wallanders Frau von ihm getrennt, seine Tochter folgt ihren eigenen "Dämonen" (d.h., sie will einfach bloß weg von ihren Alten), und sein Vater fängt an, senil zu werden; würde man die entsprechenden Episoden aus den Romanen Mankells herausschneiden, wären sie wohl gerade noch halb so lang, und es blieben  ziemlich dünne Geschichten übrig. Außerdem ist der arme Wallander übergewichtig, es regnet ständig, und er träumt manchmal von einer schwarzen Frau (nicht seht konkret), trinkt zu viel und versucht erfolglos in einem seltenen Anfall von Triebhaftigkeit, einer Staatsanwältin unter den Rock zu greifen.  - Entsprechende Stellen ließen sich aus jedem der weiteren Bücher anfügen.

Wie einige seiner aktuellen Kolleginnen, Minette Walter, P.D. James et. al., kann Mankell die Tinte nicht halten, alles wird entsetzlich breitgetreten. Vorbei die schönen Zeiten, als ein Krimi höchstens 200 Seiten hatte (bei Simenon oft noch weniger) und ein Nebensatz oder eine Geste ausreichte, um eine ganze Situation zu umreißen.

Und dieses Ganze wird immer erzählt ohne jede Würze, ohne (Selbst-)Ironie, ohne Witz, Humor und Distanz, 500 Seiten tierischer Ernst. Bei dieser großen Leserzahl kann man schließen: Aus der Spaßgeneration ist die Generation T(rauerkloß) geworden.  Komisch wird Mankell nur versehentlich, etwa wenn er Wallander in seiner Not einer Staatsanwältin unter den Rock greifen läßt.

Es muß in Mankells Biographie mal einen protestantischen Pastor gegeben haben ...

Nächst dieser Larmoyanz fällt zweitens dem Leser unschwer die sadistische Qualität der imaginierten, vorgeführten Todesarten auf:

"Das Schlafzimmer des alten Paares war über und über mit Blut verschmiert. Es war sogar bis an die Porzellanlampe hinaufgespritzt, die an der Decke hing. Bäuchlings lag ein alter Mann mit nacktem Oberkörper und heruntergerutschter Unterhose auf dem Bett. Sein Gesicht war bis zur völligen Unkenntlichkeit deformiert. Es sah aus, als habe jemand versucht, ihm die Nase abzuschneiden. Seine Hände waren auf den Rücken gebunden, und der linke Oberschenkel war gebrochen. Der weiße Knochen setzte sich deutlich von dem ihn umgebenden Rot ab. - Henning Mankell, Mörder ohne Gesicht (1991)

(Das müssen ziemlich vollblütige alte Leute gewesen sein, deren Blut bis zur Deckenlampe spritzt - weder auf seinen "Realismus" noch auf seine "Phantasie" ist bei Mankell Verlaß ... )

Oder auch:

Sie hatte kein Gesicht mehr. Übrig war lediglich eine blutige Masse, in der keine Details mehr auszumachen waren. Svedberg ging hinaus, holte ein Handtuch und breitete es über ihren Kopf. Dann untersuchte er sie. Er entdeckte fünf Schußwunden, die ein Muster bildeten. Ihm wurde noch schlechter. Ihr war durch beide Füße, beide Hände und schließlich ins Herz geschossen worden. ...

Die Strafe folgt auf dem Fuß ...

Konovalenko brannte.
Er lag eingeklemmt auf dem Rücken, der halbe Oberkörper hing aus der Frontscheibe heraus. Wallander würde sich später an seine starrenden Augen erinnern, als könne er nicht glauben, was ihm passierte. Dann fing sein Haar Feuer, und nach ein paar Sekunden begriff Wallander, daß Konovalenko tot war. Entfernt hörte er, daß sich Alarmsirenen näherten. Langsam ging er zu seinem eigenen verbeulten Wagen zurück und lehnte sich gegen die Tür auf der Fahrerseite. - Henning Mankell, Die weiße Löwin. 1993

Oder auch:

...   Er rief den Schatten auf dem Turm an. Keine Antwort. Keine Bewegung. Wieder wurde er unsicher. Spielten ihm seine schlechten Augen einen Streich?

Er rief noch einmal, ohne Antwort zu bekommen. Dann trat er auf den Steg hinaus.

Als die Planken unter ihm brachen, fiel er hilflos vornüber. Der Graben war mehr als zwei Meter tief. Er fiel, ohne die Arme ausstrecken zu können, um sich abzustützen.

Dann spürte er einen stechenden Schmerz. Er kam von nirgendwo und fuhr direkt durch ihn hindurch. Es war, als hielte jemand glühende Eisen an verschiedene Punkte seines Körpers. Der Schmerz war so stark, daß er nicht einmal zu schreien vermochte. Unmittelbar bevor er starb, sah er ein, daß er gar nicht bis auf den Boden des Grabens gefallen war. Er war in seinem eigenen Schmerz hängengeblieben.

....

Vorsichtig ging Wallander in die Hocke. Er mußte sich zwingen hinzusehen. Der Graben war tief, mindestens zwei Meter. Eine Reihe spitzer Stangen war in den Grund des Grabens eingelassen. Auf diesen Stangen hing ein Mann. Die blutigen Stangen mit ihren speerähnlichen Spitzen waren an einigen Stellen durch den Körper gedrungen. Der Mann lag vornüber. Er hing auf den Stangen. Die Krähen hatten seinen Nacken aufgehackt. - Henning Mankell, Die fünfte Frau (1996)

Oder auch:

... Der tote Körper lag bäuchlings im Lehm. Kurt Wallander hob das über deem Toten ausgebreitete Tuch vorsichtig ein Stück hoch.

Rydberg hatte nicht übertrieben. Von dem Kopf war so gut wie nichts übriggeblieben.

»Schüsse aus unmittelbarer Nähe«, sagte Hansson, der daneben stand. »Der Täter muß aus einem Versteck gekrochen sein und die Schüsse aus ein paar Metern Entfernung abgegeben haben.« ....  

»Er wurde genau um eins getötet«, sagte er. »Die hiesige Leiterin hörte gerade die Nachrichten im Radio, als es knallte. Es waren zwei Schüsse. Aber das weißt du ja schon. Er war tot, bevor er auf die Erde schlug. Es scheint sich um ganz gewöhnliche Schrotmunition zu handeln. Marke Gyttorp, vermute ich. Nitrox 36 wahrscheinlich. Das ist wohl alles.« - Henning Mankell, Mörder ohne Gesicht (1991)

Oder auch:

....  »Polizei!« brüllte er. »Bleiben Sie stehen!« Er begann, auf sie zuzugehen. Dann stoppte er abrupt. Alles ging jetzt sehr schnell. Plötzlich hob sie einen Plastikkanister über ihren Kopf und begann, eine farblose Flüssigkeit über ihr Haar, ihr Gesicht und ihren Körper zu gießen. Ihn durchfuhr der Gedanke, daß sie den die ganze Zeit getragen haben mußte. Er sah jetzt auch, daß sie sehr große Angst hatte.

Ihre Augen waren weit aufgerissen, und sie sah ihn ununterbrochen an.
»Polizei!« rief er. »Ich will nur mit Ihnen sprechen.«
Im gleichen Augenblick trieb ihm der Geruch von Benzin entgegen. Sie hatte plötzlich ein brennendes Feuerzeug in der Hand und hielt es an ihr Haar. Wallander schrie etwas, und im selben Moment loderte sie auf wie eine Fackel. Vor Schrecken gelähmt sah er, wie sie im Raps umhertaumelte, während das Feuer fauchend um ihren Körper auffiammte. Er konnte selbst hören, wie er schrie. Aber die brennende Frau war stumm. Hinterher konnte er sich nicht erinnern, sie überhaupt schreien gehört zu haben.
Als er versuchte, zu ihr zu laufen, explodierte das ganze Rapsfeld. Plötzlich war er von Rauch und Flammen umgeben. Er schlug die Hände vors Gesicht und lief, ohne zu wissen, in welche Richtung. Als er den Rand des Feldes erreichte, stolperte er und stürzte in den Graben. Er wandte sich um und sah sie noch ein letztes Mal, bevor sie fiel und aus seinem Blickfeld verschwand. Sie hatte die Arme in die Höhe gestreckt, als flehe sie um Gnade vor einer Waffe, die auf sie gerichtet war.

.....

Der Mann, der dort stand, ähnelte einem Tier. Abgesehen von einer kurzen Hose war er nackt. Mit einem plötzlichen, hysterischen Entsetzen blickte er in das Gesicht des Mannes. Er konnte nicht erkennen, ob es entstellt oder hinter einer Maske verborgen war. In der einen Hand hielt der Mann eine Axt. Verwirrt dachte er, daß die Hand um den Axtschaft sehr klein war, daß der Mann ihn an einen Zwerg erinnerte.
Dann schrie er auf und begann wegzulaufen, zurück zur Gartenpforte.
Er
starb im selben Moment, in dem die Schneide der Axt sein Rückgrat in zwei Teile spaltete, gerade unterhalb der Schultern. Er merkte auch nicht mehr, wie der Mann, der vielleicht ein Tier war, niederkniete, einen Schnitt über seine Stirn zog und mit einem einzigen mächtigen Ruck den größeren Teil der Kopfhaut und des Haars von seinem Schädel riß.

...

Er stand auf und ging wieder zu den Mäusen in der Kiste. Als sie ihn erblickten, begannen sie sofort, sich zwischen den Wänden hin und her zu werfen. Mit drei Hieben seiner Axt tötete er sie. Dann kippte er die blutigen Mäusekadaver in eine Plastiktüte, die er sorgfältig verknotete, bevor er sie in eine zweite Plastiktüte stopfte. Er wischte die Schneide ab und befühlte sie mit den Fingerspitzen.

.....

 Er stürzte in die Laube und schlug Arne Carlman die Axt frontal ins Gesicht. Der gewaltige Hieb spaltete den Schädel bis zum Oberkiefer. Carlman blieb mit den beiden auseinanderklaffenden Gesichtshälften auf der Bank sitzen. Hoover griff nach dem Messer und schnitt das Haar von dem Teil des Kopfes, der ihm am nächsten war. Dann verschwand er ebenso schnell, wie er gekommen war.  .....

Der Kopf bewegte sich hin und her. Er zerrte mit Armen und Beinen an seinen Fesseln, ohne loszukommen. Hoover konnte nicht anders, als im Schatten stehenzubleiben und ihn zu betrachten. Er sah keinen Menschen mehr vor sich. Der Vater hatte die Verwandlung durchgemacht, die er für ihn bestimmt hatte. Er war jetzt ein Tier.
Hoover trat aus dem Schatten heraus und ging auf den Steg. Die Augen des Vaters starrten ihn an. Hoover merkte, daß er ihn nicht erkannte. Die Rollen waren vertauscht. Er dachte an die unzähligen Male, als ihn eisiger Schrecken durchfuhr, wenn der Vater ihn angestarrt hatte. Jetzt war es umgekehrt. Die Angst hatte die Seiten gewechselt. Er beugte sich so dicht zum Gesicht des Vaters nieder, daß dieser durch die Bemalung des Gesichts hindurchsehen und entdecken konnte, daß dahinter sein eigener Sohn war. Das war auch das letzte, was er sehen sollte. Dieses Bild sollte er im Kopf haben, wenn er starb. Hoover hatte den Verschluß von der Flasche geschraubt. Er hielt sie hinter seinem Rücken.
Dann nahm er sie hervor und goß hastig ein paar Tropfen Salzsäure in das linke Auge des Vaters. Unter dem Klebeband begann der Vater zu brüllen. Er riß mit allen Kräften an den Tauen. Hoover öffnete mit Gewalt das andere Auge, das zusammengekniffen war, und goß Salzsäure hinein. Dann stand er auf und warf die Flasche ins Meer. Er sah ein Tier vor sich, das sich im Todeskampf hin und her warf. Hoover blickte wieder auf seine Hände. Die Finger zitterten leicht. Das war alles. Das Tier lag auf dem Steg vor ihm und zuckte in Krämpfen. Hoover holte das Messer aus dem Rucksack und schnitt die Haut vom Schädel des Tiers. Er hob den Skalp gegen den dunklen Himmel. Dann nahm er seine Axt und schlug sie mit solcher Kraft direkt durch die Stirn des Tiers, daß die Schneide im Holz des Stegs darunter steckenblieb."
- Henning Mankell, Die falsche Fährte (1996)

Es ist bemerkenswert, daß diese Morde nicht selten zweimal, aus der Täter- wie aus der Opferperspektive erzählt werden. Der Autor ist bemüht, sich in diese Situationen zu vertiefen. Wie "realistisch" machbar diese Morde sind, ist eine offene Frage, Mankell oder sein Verlag soll sich einen Rechercheur angeschafft haben, der die Erfindungen des Autors auf Plausibilität prüft ;-}. Um Wahrscheinlichkeiten schert Mankell sich nicht allzusehr, es geht um anderes.

Dieses Zweitens folgt (das ist eine These) logisch-emotional aus Erstens,  die sadistischen Mordphantasien kommen aus dem Gefühl von Überfordertsein und Ohnmacht. Die eigentlichen Schuldigen sind - Griff in die historische Mottenkiste - die Oberklasse, die Besitzenden, (dazu gehört auch ein geldgieriger Bauer wie in "Die falsche Fährte"). Es sind immer Frauenquäler, Oberklassenzyniker mit Hang zu kleinen Mädchen, sowie deren Zutreiber, Schieber usw., - die Opfer in Mankells Romanen sind immer reiche Schweine (denen "man" den Tod gönnt ...), die Täter "arme Irre" ("so blöd wäre ich nicht gewesen ...") - wie groß Mankells Erfolg wirklich ist, weiß ich nicht,  offenbar gibt es aber nicht wenige Leute, die innen so aussehen. Mankell könnte 'Erfurt' illustrieren, - ein "pc"-hochmoralischer Egoshooter.

Drittens wird die Realisierung dieser Rachephantasien ausgelagert, meistens projiziert auf  eben die "armen Irren". Thematisiert werden diese emotionalen Zusammenhänge überhaupt nicht, es gibt m. W. keine Konfrontation, kein Gespräch Wallanders mit Täter oder Täterin -  da wird  wird laut beschwiegen, Wallander und sein Erfinder hätten  womöglich sich selbst im Spiegel betrachten müssen ...

Noch eine Bemerkung zu Mankells Erzählweise, die ist ebenso unaufrichtig und unsauber.
Die Distanz zwischen Leser und Detektivfigur (damit die Figur selbst) ist im Lauf der Gattungsgeschichte immer weiter reduziert worden, die Figur wurde vom divinatorischen mythischen Rätsellöser (Poes Dupin) zum Alltagsmenschen, in dem Bemühen, die Figur "glaubwürdiger" und realistischer zu machen.
Mankell versucht nun, von beidem zu profitieren, vom Zauber der archetypischen alleserklärenkönnenden Figur Poes und von der Glaubwürdigkeit des "Menschen wie Du und ich" - mit einem Trick.

Der Erzähler wechselt immer wieder die Perspektiven vom Detektiv zum Täter. Der Leser ist dem Detektiv stets voraus, und dazu hat Wallander hat immer wieder Vorahnungen, "Gefühle", die dem Vorwissen des Lesers entsprechen - eine Suggestivmethode, die dem Detektiv über alle "realistischen" Einwände hinweg zum Erfolg verhilft. Den Zufall (das Problem - nicht nur - Dürrenmatts in "Das Versprechen", das Problem der Detektivfigur überhaupt) kann man so recht billig in Schach halten. Bei Bedarf werden auch Figuren mit enormem Erinnerungsvermögen aus dem Hut gezaubert, so in "Die falsche Fährte" eine Bankangestellte, in "Die weiße Löwin" eine Supermarktkassiererin - man hört das Handwerk ordentlich klappern. Anders als Sjöwall / Wahlöö (siehe z. B. "Verschlossen und verriegelt",  mindestens so "pc"  wie Mankell, aber mit deutlich mehr Witz) hat letzterer kein Interesse am Genre, er benutzt es lediglich als Vehikel für die Darstellung seines traurigen, unartikulierten Lebensgefühls. Wenn man sich aber derart über die "Wahrscheinlichkeitskrämer" (Hitchcock) hinwegsetzt, sollte man auch eine Hitchcocksche Alptraumwelt mit eigener Logik liefern, das aber ist Mankells Sache (Fähigkeit) nicht (ansatzweise höchstens in "Hunde von Riga", und die sind auch schon larmoyant genug).

Diese Methode (Perspektivenwechsel) hat Mankell allerdings nicht erfunden, sie wird oft dann benutzt, wenn der Autor versucht, seinen Detektiv zu überhöhen - siehe z. B. James Ellroy in seinen Lloyd-Hopkins-Romanen. Gegenbeispiele: z. B. Jerry Osters "Saint Mike", oder auch "Dschungelkampf". - Der Perspektivenwechsel wäre eine gute  Methode, den Detektiv als den Bauer in diesem Spiel zu relativieren, daran hat M. allerdings kein Interesse, das wäre übertriebener Realismus - er braucht eben eine überhöhte Identifikationsfigur, für sich und seine Leser. -

Besonders grotesk wird das Überhöhungsbemühen in einer Episode von "Die weiße Löwin": Wallander (Wallander aus Ystadt, eben nicht die Stockholmer Polizisten) erfragt einfach von einem Barkeeper in Stockholm den Namen eines Handgranatenschmeißers, was den Fortgang der Geschichte eigentlich erst ermöglicht; woher der Barkeeper allerdings den Namen des Handgranatenschmeißers hat, wird überhaupt nicht erklärt, der hatte, ohne sich groß vorzustellen, bloß eine Handgranate  (oder sowas) in das Lokal geworfen: "Corriger la fortune" des Helden durch seinen Autor, und Spekulation auf die Dämlichkeit des Lesers. - Ein weiteres Stück Unglaubwürdigkeit in dem genannten Roman:  Wallander, der Polizist, läßt sich von einem schwarzen südafrikanischen Killer, der offenbar in ein Mordkomplott verstrickt ist, derart am Gemüt kitzeln, daß er ihn vor der Polizei versteckt, und versucht, ihn aus dem Lande zu schmuggeln, ihm einen falschen Paß beschafft ... Zum Glück für Wallander wird dieser Killer aber getötet, und Wallander rettet Nelson Mandela und Südafrika, ganz von weitem.

Nämlich so: Der eigentliche Killer schreibt zwar nicht gerade Gedichte, aber Tagebuch, über seine Killer-Aktivitäten (inkl. Auftraggeber) - und wer findet das? Richtig. Und dann versucht dieser Killer noch, sich vor der Polizei wo zu verstecken? Auf einer Insel. Und wer findet (und tötet) ihn dort? Richtig! Und dann merkt Wallander am Ende irgendwie auch noch, daß sein Fax von Interpol nur halb nach Süfafrika übermittelt wurde, und korrigiert auch das, knapp, aber ...
Mankells  "Realismus" besteht im Bedienen von Wünschen - Karl May aus Ystadt,  genauer: Superman aus Ystadt; Wallander, ein Mensch wie du und ich, aber EIGENTLICH steckt in diesem Menschen wie du und ich der SUPERMAN. Sogar Hollywood gebraucht das Muster inzwischen ironisch - nur Mankell glaubt allen Ernstes, es benutzen zu können, um seine Identifikationsfigur aufzublasen (dazu dienen die zahllosen technischen "Fehler") - er ist der Traum und Tröster aller Sachbearbeiter.

A propos Unaufrichtigkeit: In "Mörder ohne Gesicht" gibt es einen deutlichen und vielsagenden Bruch in der Geschichte. Alles sollte eigentlich auf eine Familien- und Vatergeschichte (uneheliches Kind) hinauslaufen, allein ein derartiger emotionaler Hintergrund könnte auch die groteske Brutalität des Mords erklären. Dann müssen aber den Autor oder den Lektor oder beide der Mut verlassen haben, die Spur wurde abrupt abgeschnitten, und statt dessen irgendwelche Tschechen aus dem Hut gezaubert, deren Brutalität zu erklären man sich nicht die Mühe macht; nimmt man aber die Vaterfigur (Wallanders) in diesem und den übrigen Romanen Mankells hinzu, ergibt sich wieder der Verdacht, daß Mankell sich vor (s)einem Thema gedrückt hat bzw. ihm nicht gewachsen ist .... auch nicht in "Die falsche Fährte", in der das Thema, etwas besser motiviert, ebenfalls auftaucht, - natürlich wieder ohne Gespräch mit dem Täter.

Also woher Mankells Erfolg? "Neutralisiert" werden  "Rachegelüste" durch Mankell ganz und gar nicht, vielmehr werden sie zugleich verdrängt und ausgedrückt. Die "Erklärung" dieser Gewalt durch Projektion derselben auf sozusagen geistesgestörte Notwehr von unterdrückten armen Schweinen ist ja wohl etwas ungenau, aber sie entlastet. Und dazu noch seine Leserbelämmerungen ("Ach Gott, dem Ärmsten gehts ja noch schlechter als mir, dem Leser ..."). Sein neuester Kommissar soll krebskrank sein, ein gesteigerter Wallander?

Mankell erfüllt Leser-Wünsche, bläst seinen Lazarus-Helden zunehmend auf, wie es sich gehört für Trivialliteratur; anders als etwa bei James Ellroy scheint Wallander-Mankell keinerlei Anteil an der Gewalt zu haben, die er so intensiv beschreibt / sich ausmalt: das erweckt den Anschein einer gewissen naiven Heuchelei.

Die Rachsucht des Überforderten (des Lesers) wird bedient (s. Todesarten) ebenso wie die entsprechenden Selbstüberhöhungs-Wünsche des Lesers, die in Gestalt eines einerseits total alltäglichen, anderereseits total genialen, alles "vorausahnenden" Kommissars - Mankells Mischung aus Aufgeblasenheit, Unaufrichtigkeit, Schlampigkeit, politisch korrekter Selbstgerechtigkeit und "corriger la fortune" ist ziemlich fragwürdig. Wie man liest, will Mankell seinen Helden frühpensionieren (der öffentliche Dienst zehrt, das wissen nicht zuletzt die Lehrer ...); in der "Weißen Löwin" ist zu lesen, dieser träume, über Wasser gehen zu können, in "Die falsche Fährte" hält er wie eine Pietà ein schwerverletztes Opfer im Schoß, überhaupt trägt Wallander immer die Last der ganzen Welt - seine Kreuzigung wäre ein passenderer Abgang. Überhaupt hat er sich sowieso zeitlebens doch nie so recht lebendig gefühlt.

Ich stelle mir diese Kreuzigung so vor: Irgend einer von Mankells schwedischen Herren Landruquist glaubt gehört zu haben, der Kommissar Wallander habe Pippi Langstrumpf vergewaltigt (wen wundert's, wenn der doch schon schwedischen Staatsanwältinnen besinnungslos unter den Rock greift, bedauerlicher Mangel an Ventilsitten in Schweden!). Also lockt dieser Landruquist, verkleidet als afrikanischer Freiheitskämpfer, den Wallander in mondloser Nacht an einem schwedischen Kreuzweg in Ystadt, wo er ihn nach allen Regeln dieser Kunst kreuzigt. Hier ein Nagel, plopp, da ein Nagel, plopp, ah, Pippilotta, damit wird er dir nicht mehr weh tun, klatsch matsch klatsch matsch ... ... Hier gehörte dann nach Mankells Bedürfnis noch die zweite, die Opferperspektive hin, welche ich aber dem Autor überlasse.

 Hartmut Dietz

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